Vergiss die Toten nicht
erstaunlicherweise kein X für ein U
vormachen. Ihre Wohnung in der 87. Straße auf der Ostseite von Manhattan war ein fröhliches, gemütliches und ein wenig staubiges Durcheinander von Möbeln und Kunstgegenständen, die sie im Laufe der Jahre angehäuft hatte und an denen sie inzwischen nostalgisch hing.
Bei seinem ersten Besuch dort hatte Adam lachend festgestellt, dass Gertis Wohnung an ihren Verstand erinnerte: kunterbunt, wirr und ein bisschen altmodisch. »Kein Mensch würde Art-déco auf diese Weise mit falschem Rokoko kombinieren«, sagte er.
Tante Gertis Möbel! All die Sachen in diesem Zimmer! Was denke ich in so einer Situation über Tische, Stühle und Teppiche nach?, schalt sie sich. Wann werde ich endlich begreifen, dass Adam tot ist?
Doch es gelang ihr einfach nicht, sich mit der Wirklichkeit abzufinden. Denn sie wollte, dass er lebte, dass er einfach zur Tür hereinkam und sagte: »Ich muss dir etwas sagen, Nell: Ich liebe dich, und der Streit tut mir leid.«
Der Streit. Sie hatten sich schreckliche Dinge an den Kopf geworfen, und dann war Adams Jacht explodiert. Detective Brennan hatte gesagt, man könne noch nicht feststellen, ob ein Leck im Tank der Grund gewesen sei.
Adam hat beide Jachten nach mir benannt, dachte Nell, doch ich bin nur selten mit ihm rausgefahren. Seit meiner Erfahrung mit der Springtide in Hawaii fürchte ich mich vor dem Wasser.
Aber er hat mich angefleht, ihn hin und wieder zu begleiten, und versprochen, sich nicht zu weit von der Küste zu entfernen.
Vergeblich hatte sie versucht, ihre Angst vor dem Meer zu bekämpfen. Inzwischen schwamm sie nur noch in Pools und wagte sich auch hin und wieder auf ein Kreuzfahrtschiff, obwohl sie sich an Bord offen gestanden immer ein wenig mulmig fühlte.
Um kleinere Boote machte sie jedoch einen Bogen, denn wenn sie das Schaukeln der Wellen spürte, fühlte sie sich wieder, als würde sie jeden Moment ertrinken.
Adam hingegen liebte Schiffe und das offene Meer. Allerdings hat sich dieser Unterschied, der zum Problem hätte werden können, in unserem Fall als Vorteil erwiesen. Wenn ich Mac, wie so oft am Wochenende, zu einer politischen Veranstaltung begleiten oder wenn ich an meiner Kolumne schreiben musste, ist Adam segeln oder fischen gegangen.
Und dann kamen wir beide nach Hause und verbrachten die restliche Zeit zusammen. Kompromisse und Verhandlungen, dachte sie. Doch wir hätten eine Lösung gefunden.
Nel knipste das Licht im Wohnzimmer aus und ging ins Schlafzimmer. Ich wünschte, ich könnte etwas empfinden, sagte sie sich. Warum kann ich nicht weinen oder trauern, anstatt ständig das Gefühl zu haben, auf etwas zu warten?
Auf was? Und auf wen?
Sie zog sich aus und hängte den grünen, seidenen Hosenanzug von Escada sorgfältig auf einen Bügel. Sie hatte ihn heute das erste Mal getragen. Als er geliefert wurde, hatte Adam die Schachtel geöffnet, den Hosenanzug aus dem Seidenpapier geholt und ihn sorgfältig gemustert. »Der steht dir bestimmt großartig, Nel «, hatte er verkündet.
Nel hatte ihn an diesem Abend angezogen, weil sie insgeheim gehofft hatte, Adam würde wegen des Streits ein ebenso schlechtes Gewissen haben wie sie. Sie hatte geglaubt, dass er noch nachkommen und wenigstens zum Dessert erscheinen würde. Sehnsüchtig hatte sie sich ausgemalt, wie er eintrat, als gerade das mit einer Kerze verzierte Baiser – eine Geburtstagstradition im Four Seasons – serviert wurde.
Aber natürlich hatte er sich nicht blicken lassen. Ich wünschte, er hätte sich vor dem Unfall entschieden, doch noch zu kommen, überlegte Nell. Sie nahm ein Baumwollnachthemd aus der Schublade, wusch sich mechanisch das Gesicht und putzte sich die Zähne. Aus dem Badezimmerspiegel blickte ihr eine Fremde entgegen, eine bleiche Frau mit weit aufgerissenen, stumpfen Augen und kastanienbraunem Haar, das ihr feucht am Kopf klebte.
War es zu warm im Raum?, fragte sie sich, als sie die Schweißperlen auf ihrer Stirn bemerkte. Aber warum fror sie dann so? Sie beschloss, zu Bett zu gehen.
Gestern Nacht hatte sie nicht mit Adams Rückkehr aus Philadelphia gerechnet, und sie hatte nicht reagiert, als sie seinen Schlüssel im Schloss hörte. Weil mir so vor einem Gespräch über die Kandidatur für Macs Sitz graute, habe ich mich schlafend gestellt, dachte Nell, und sie wurde wieder wütend auf sich selbst.
Im Schlaf hatte er den Arm um sie gelegt und ihren Namen gemurmelt. Nun sprach sie seinen laut aus: »Adam, ich liebe dich. Bitte
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