Vergiss die Toten nicht
hereinkam, um sich zu verabschieden, stand Nell auf und brachte sie zur Tür. »Nell, es tut mir so leid. Als ich es heute Abend im Radio hörte, bin ich sofort hergefahren. Ich weiß, dass Sie Mac mehr bedeuten als alles auf der Welt. Er war zwar immer ein wenig streng mit Adam, aber die Tragödie hat ihn schwer getroffen. Falls ich etwas für Sie tun kann…«
»Schon gut, Liz. Danke, dass Sie so schnell gekommen sind.
Sie haben mir sehr geholfen.«
»Morgen müssen wir über die Vorbereitungen sprechen«, sagte Liz.
Die
Vorbereitungen?,
dachte
Nell
erschrocken.
Vorbereitungen. Die Beerdigung. »Adam und ich haben nie darüber geredet, was er sich vorstellt, falls ihm etwas zustoßen sollte«, sagte sie. »Es erschien uns einfach unnötig. Aber ich erinnere mich, dass er einmal, als wir in Nantucket waren, vom Angeln zurückkam und meinte, er würde nach seinem Tod gern eingeäschert werden. Seine Asche sollte man dann übers Meer verstreuen.«
Als sie Liz betrachtete, erkannte sie das Mitleid in ihren Augen. Nel schüttelte den Kopf und zwang sich zu einem Lächeln. »Sieht aus, als wäre sein Wunsch in Erfüllung gegangen.«
»Ich rufe Sie morgen an.« Liz nahm Nel s Hand und drückte sie sanft.
Als Nell ins Wohnzimmer zurückkehrte, stand ihr Großvater auf. Gerti suchte ihre Handtasche. Nell begleitete Mac zur Tür.
»Es ist klug von dir, Gerti wegzuschicken«, brummte er. »Sie würde dich die ganze Nacht mit ihrem spiritistischen Geschwätz wach halten.« Mac blieb stehen, blickte Nell an und legte ihr die Hände auf die Arme. »Ich kann dir gar nicht sagen, wie leid es mir tut, Nell. Nachdem du deine Eltern schon auf so tragische Weise verloren hast, hast du so etwas wirklich nicht verdient.«
Vor allem nicht, weil wir uns kurz zuvor gestritten haben, dachte Nell. Sie spürte, wie der Zorn in ihr aufstieg. Mac, du warst die Wurzel des Problems, überlegte sie weiter. Deine ständigen Forderungen – manchmal ist das einfach zu viel. Es war falsch von Adam, mir die Kandidatur ausreden zu wollen, aber in diesem Punkt hat er wirklich Recht gehabt.
Als Nell schwieg, wandte ihr Großvater sich ab.
Gerti nahm Nells Hände. »Ich weiß, dass es für eine solche Situation kaum Worte gibt, die einem Trost spenden können.
Aber vergiss nicht, Nel , dass du ihn nicht wirklich verloren hast.
Er befindet sich jetzt auf einer anderen Ebene, doch er ist immer noch dein Adam.«
»Lass das, Gerti«, unterbrach Mac seine Schwester.
»Dieses Gerede hilft Nell im Augenblick nicht weiter. Schlaf ein wenig. Wir unterhalten uns morgen.«
Dann waren sie fort. Nell kehrte ins Wohnzimmer zurück und ertappte sich dabei, dass sie damit rechnete, jeden Moment Adams Schlüssel im Schloss zu hören. Wie eine Schlafwandlerin ging sie durch die Wohnung, rückte ein paar Zeitschriften auf einem Beistelltisch zurecht und ordnete die Sofakissen auf der gemütlichen Couch. Da das Zimmer nach Norden zeigte, hatte Nel das Sofa vor einem Jahr in einem warmen Rotton überziehen lassen. Zuerst war Adam gar nicht begeistert gewesen, aber schließlich hatte ihm die Farbe doch gefallen.
Nel sah sich um und betrachtete das Sammelsurium von Möbeln. Sie und Adam hatten beide einen sehr ausgeprägten Geschmack.
Einige
Einrichtungsgegenstände
–
Erinnerungsstücke von ihren Reisen – stammten noch aus ihrem Elternhaus und waren all die Jahre über eingelagert worden.
Andere Möbel hatten sie in kleinen Antiquitätenläden oder auf seltsamen Auktionen erworben, wie Tante Gerti sie häufig ausfindig machte. Bei vielen Stücken war es zu längeren Verhandlungen gekommen. Verhandlungen und Kompromissen, dachte Nell und wurde wieder von Trauer ergriffen. Adam und ich hätten all unsere Probleme lösen können, da bin ich ganz sicher.
Sie ging zu einem dreibeinigen Tisch hinüber, in den Adam sich auf den ersten Blick verliebt hatte. Er hatte ihn bei einem seiner Ausflüge mit Tante Gerti entdeckt, während Nell eine Parteiveranstaltung besucht hatte. Adam und Gerti hatten sich auf Anhieb verstanden. Auch sie wird ihn sehr vermissen, sagte sich Nell bedrückt. Sie wusste, dass Gerti Adam vorgeschlagen hatte, den Tisch seiner Frau zu schenken.
Manchmal machte Nel sich Sorgen, jemand könne Gerti ausnutzen. Sie ist so vertrauensselig, überlegte sie. Und sie hört bei jeder ihrer Entscheidungen auf die Ratschläge von Spiritisten und Hellsehern. Doch wenn es, wie bei diesem Sofa, ums Feilschen ging, ließ Gerti sich
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