Vergiss es Baby - Roman
Küche, wo er unverzüglich die Kaffeemaschine in Gang setzte. Während er darauf wartete, dass der Kaffee durchlief, öffnete er die Tür zu dem Zimmer, das an die Küche grenzte und in dem Marlene in der Nacht verschwunden war.
Er wusste nicht, womit er gerechnet hatte, aber damit ganz bestimmt nicht.
Ein riesiges Bett mit einer orientalisch anmutenden Tagesdecke in warmen Rottönen bildete den Mittelpunkt des geräumigen Zimmers. Darüber schwebte, an zwei Bambusstangen befestigt, eine Art Baldachin aus durchsichtigen bestickten Stoffbahnen, die das einfallende Sonnenlicht in allen Regenbogenfarben filterten. Verschiedenfarbige Samt- und Seidenkissen lagen um eine elegante Teakholztruhe, die offensichtlich
als Tisch diente. An einer Wand stand eine antike Kommode, und er trat näher, um die kunstvoll gerahmten Fotos betrachten zu können, die darüber hingen.
Auf fast allen war Marlene mit ihrer Mutter zu sehen. Nur eines zeigte sie mit einem dunkelhaarigen, gut aussehenden Mann, der einen Arm um sie geschlungen hatte und stolz in die Kamera lächelte. Ein Urlaubsfoto, aufgenommen an einem menschenleeren Strand. Die untergehende Sonne zauberte einen rötlichen Schimmer in Marlenes windzerzauste dunkle Locken, und ihm fiel auf, wie gelöst und unbefangen sie wirkte. Doch wer war der Kerl? Er sah aus wie das typische Klischee des älteren Liebhabers, und die Zuneigung, mit der Marlene sich an ihn schmiegte und ihn mit großen Augen ansah, war nicht zu übersehen. Er spürte einen Stich, als er das Foto an seinen Platz an der Wand zurückhing. Er hatte genug gesehen. Etwas schnürte ihm die Kehle zu, und er hatte das dringende Bedürfnis, die Wohnung zu verlassen.
Doch daran war nicht zu denken. Zunächst galt es, sich um seine äußere Erscheinung zu kümmern. München war nicht Las Vegas, und die Gefahr, dass ihn jemand erkannte, war groß.
Als er eine Tür auf- und wieder zuklappen hörte, überlegte er, ob Marlene oder einer ihrer Mitbewohner nach Hause gekommen war. Doch er hatte sich getäuscht, die Geräusche mussten aus der Nachbarwohnung stammen. Vorsichtshalber wartete er noch eine Weile und lauschte, bevor er aus dem Zimmer trat.
In der Küche holte er sich einen Becher aus einem der Hängeschränke, schenkte sich Kaffee ein und lehnte sich an die Spüle. Während er den bitteren Filterkaffee trank, versuchte er
angestrengt, die angriffslustige Kriegerin, der er vor vier Tagen kennengelernt hatte, mit der romantischen Prinzessin in Verbindung zu bringen, die hinter der Tür in einer Märchenwelt aus Tausendundeiner Nacht lebte. Es gelang ihm nicht.
In seiner Rumpelkammer tauschte er den Schlafanzug gegen einen Bademantel, bewaffnete sich mit seinem heiß geliebten Krokolederbeutel und einem Handtuch. Auf nackten Füßen tappte er ins Badezimmer und schloss hinter sich ab. Die morgendliche Dusche fiel aus, da er vorhatte, joggen zu gehen, um das Viertel, in dem er nun eine Zeit lang leben würde, zu erkunden. Neuhausen. Das klang nett.
Ob es irgendwo in der Nähe ein Fitnesscenter gab, wo er trainieren konnte, ohne dass ihn jemand erkannte? Er war durchaus bereit, ein gewisses Risiko einzugehen, hatte er doch keinesfalls vor, sich hängen zu lassen. Seine sportliche Leistungsfähigkeit war sein Kapital. Wenn es schon nicht möglich war, es zu vermehren, so wollte er es doch zumindest erhalten, so gut es eben ging. Kleine Pausen, in denen sich der Körper regenerieren konnte, waren natürlich auch nicht schlecht. Nur leider hätte man sich, um diese zu verdienen, zuvor körperlich verausgaben müssen.
Er pfiff vor sich hin, während er sich wusch. Anschließend warf er einen prüfenden Blick in den Badezimmerspiegel und dachte wieder einmal darüber nach, was mit seinem Dreitagebart passieren sollte. Wie zu erwarten, kam er zu keinem Ergebnis. Nicht mehr lange, und er hatte einen Vollbart. Das kam nicht infrage, auch wenn es eine prima Tarnung wäre, die seinem Aussehen eine völlig andere Note geben würde. Allerdings keine, auf die er sonderlich scharf war. In Las Vegas hatten ein tief ins
Gesicht gezogenes Basecap und eine Sonnenbrille, die er so gut wie niemals absetzte, gereicht, um sich vor neugierigen Touristen zu schützen. Doch so einfach würde er in Deutschland nicht davonkommen, hier war eine tief greifende Veränderung vonnöten.
Vor dem Spiegel kämmte er sich die Haare hinter die Ohren, womit er einen ähnlichen Effekt erzielte wie mit dem Stirnband, das er normalerweise auf dem
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