Vergiss es Baby - Roman
des Herrschaftswissens ein echter Klassiker herangezogen, der niemals aus der Mode zu kommen schien. Der obligatorische Satz »Schatz, erklär doch mal, was Abseits ist« musste immer noch dazu herhalten, weibliches Interesse im Keim zu ersticken.
Bah. Abseits. Die Falle schnappte doch längst nicht mehr zu. Frauen immer wieder damit zu kommen, zeugte nicht gerade von Fantasie. Das brachten auch nur Männer fertig, die immer noch glaubten, Fußball habe in erster Linie etwas mit Sport zu tun. Wie naiv.
Wenn sie eines aus der intensiven Zeitschriftenlektüre der letzten Tage gelernt hatte, dann das: Nur weil man die Regeln kannte, hieß das noch lange nicht, dass man auch das Spiel verstand. Fußball war mehr. Es war Geschäft. Big Business. Die ganz große Nummer. Die Medien inszenieren die Spieler wie Popstars, die sich in ansprechender Verpackung ihren Fans stellen, und das Fernsehen lieferte kernige Waden, ansehnliche Oberschenkel und atemberaubende Sixpacks gleich dazu. Es machte eben keinen Unterschied, ob man sich über Mannschaftsaufstellungen, Spielerrotation, Abseitsfallen oder das wechselvolle Liebesleben eines Oliver Kahn unterhielt. Festzustellen, dass Kurànyis Rastazöpfe lächerlich aussahen, Luca Toni mühelos als Model durchgehen konnte und Ronaldinhos Beißerchen hartnäckig jegliche kieferchirurgische Behandlung verwehrt wurde, war ebenso professionell wie die Aussage, der Trainer gehöre dringend abgeschossen.
Das war zumindest ihre Meinung. Und die strotzte ja wohl nur so vor Fußballsachverstand.
Nach derlei tiefschürfenden Erkenntnissen verlangten ihre Augen, die von der Bildschirmlektüre schmerzten, eine Pause, und ihr Magen ersehnte Nahrung.
Auf Valentin Balakev, der sein ansprechendes Muskelspiel sehen ließ, indem er hinter einer Parkettschleifmaschine herlief, musste sie leider verzichten. Er war immer noch nicht zurück. Dann konnte sie ja ebenso gut etwas essen.
In der Küche taute sie einen Berg Semmeln auf und belegte sie mit reichlich Wurst und Käse. Gerne hätte sie auf dem Balkon gegessen, aber den konnte man noch nicht betreten. Wenn sie jedoch das Fenster öffnete und einen Stuhl davorschob,
konnte sie ebenso gut drinnen ein Sonnenbad nehmen. Mist. Es klemmte. Irgendjemand hatte den Rahmen abgeschliffen und mit irgendeiner Flüssigkeit behandelt, die nun in den Ritzen klebte.
Ein Mann auf der gegenüberliegenden Straßenseite sah neugierig zu ihr hoch. Er stand unter einem Baum und beobachtete, wie sie am Griff rüttelte und zog. Sie musste ihre ganze Kraft aufwenden, um das Fenster zu öffnen, und als sie es endlich geschafft hatte, stand er immer noch da. Wahrscheinlich wohnte der Kerl hier im Viertel und führte seinen Hund aus.
Mit geschlossenen Augen ließ sich Marlene von den Sonnenstrahlen kitzeln und widmete sich anschließend wieder ihren Semmeln. Dann setzte sie Teewasser auf. Während sie darauf wartete, dass es kochte, riskierte sie einen weiteren Blick auf die Straße.
Er war immer noch da. Sie hätte schwören können, ihn schon einmal dort gesehen zu haben, an derselben Stelle. Und von einem Hund war weit und breit auch nichts zu sehen. Wieso trug der Kerl denn bei der Wärme ausgerechnet einen Trenchcoat? Das war doch wirklich verdächtig. Gut, dass er keinen Hut aufgesetzt hatte, sonst hätte sie ihn noch für eine Figur aus einem Raymond-Chandler-Roman gehalten. Aber sein Auftauchen war auch so beunruhigend genug.
Was, wenn der Kerl von der Presse war? Ein ganz besonders eifriger Journalist, der auch sonntags arbeitete, um der Konkurrenz die entscheidende Nasenlänge voraus zu sein. Aber wie hatte er von Valentins Aufenthaltsort erfahren?
Marlene kauerte sich vor die Fensterbank und spähte möglichst
unauffällig hinaus, bis es ihr zu bunt wurde. Nervös sah sie auf die Uhr. Wo blieb Valentin?
Es war schon fast eins. Es machte sie wütend, dass er seine Chauffeurdienste so sträflich vernachlässigte. Er hätte sie wenigstens mal anrufen können, um ihr mitzuteilen, wo er sich aufhielt, was er gerade tat, was er heute noch vorhatte, wann er wieder zu Hause sein würde, ob er eventuell heute Abend kochte etc., etc, etc. Jetzt würde sie die U-Bahn nehmen müssen, um zum Krankenhaus zu fahren. Ihre Kollegin starb vor Langeweile und rechnete fest mit ihr. Marlene brachte es nicht übers Herz, die Verabredung sausen zu lassen und sie zu enttäuschen.
Aber was, wenn sie ging und Valentin dem Kerl geradewegs in die Arme lief, wenn er
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