Vergiss es Baby - Roman
definitiv kein Verkäufer von Versicherungen, Telefontarifen oder Losen der Klassenlotterie. Gut. Aber wer war er dann? Offenbar jemand ohne Manieren. Er schien es nicht nötig zu haben, sich vorzustellen oder sich für seinen frühen Anruf zu entschuldigen.
»Mit wem habe ich das Vergnügen?«, fragte Marlene neugierig.
»Im Moment möchte ich meinen Namen nicht nennen. Das könnte eine wichtige geschäftliche Transaktion gefährden. So lange gewisse Angelegenheiten noch nicht in trockenen Tüchern sind, bleibe ich lieber außen vor, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Sie verstand nicht.
»Nennen Sie mich einfach Vito.«
»Aber natürlich, Don Corleone.« Sie biss sich auf die Lippe, um nicht laut zu lachen. Was hatten Männer eigentlich dauernd mit dem Paten? Zugegeben, der Film war nicht schlecht, wenn man sich nach klaren Regeln, einfachen Gesetzen und unkomplizierten Lösungen sehnte. Aber sonst? Al Pacino als Michael sah natürlich wirklich gut aus.
»Es wird mir ein Vergnügen sein.«
Der Mann lachte, laut und herzhaft, als amüsiere er sich tatsächlich.
»Sie gefallen mir«, schmeichelte er ihr, »wie ich sehe, haben Sie Humor. Eine im Geschäftsleben äußerst seltene Eigenschaft.«
»Als Mafiaboss legen Sie sicher Wert auf eine schnelle Zubereitung der Lebensmittel«, fuhr Marlene fort, »so lässt sich die Nahrungsaufnahme bequem zwischen den Schusswechseln erledigen.«
Das Lachen ihres Gesprächspartners am anderen Ende der Leitung ging in einen kräftigen Hustenanfall über, und sie musste den Hörer ein Stück vom Ohr weghalten. »Wäre da ein Schnellimbiss nicht passender?«
Sie wollte gerade auflegen. Der Spinner, der ihre morgendliche Meditation über Telefonleitfäden und Gesprächsnotizen unterbrochen hatte, verdiente es nicht besser.
»Da kann ich Sie beruhigen, Frau Dittrich.« Inzwischen hatte er seine Stimme wiedergefunden. Mordaufträge stehen zurzeit nicht auf meiner Agenda.«
Schade. Sie hatte eben überlegt, ihn nach einer Waffe zu fragen. Nur so zum Spaß, natürlich.
»Gott sei Dank«, fuhr er kichernd fort. »Ich liebe nämlich Steaks und esse sie gerne fast roh. Aber nach einem erledigten Job ist der Anblick von blutigem Fleisch mehr als ich ertragen kann. Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede. Da ist es ganz praktisch, dass meine geschäftlichen Interessen momentan eher in Richtung Geldbeschaffung gehen.«
»Das heißt, Sie rauben Banken aus?«
Schweigen. Das war auch eine Antwort.
»Unter diesen Umständen ist ein anonymer Treffpunkt vorzuziehen«, schlug sie vor. »Irgendetwas, wo viele Leute sind. Ein bayrisches Gasthaus vielleicht? Sicher lieben Sie reichhaltige Gerichte, große Portionen und schwere Soßen.«
»Wie ich sehe, denken Sie mit. In der Tat lege ich Wert auf
eine gewisse Opulenz. Jede Mahlzeit könnte meine letzte sein.«
»Da wäre eine hausgemachte Schlachtplatte doch das Richtige für Sie. Frische Blut- und Leberwürste. Als Beilage Kartoffelbrei und Kraut.«
Der Kerl hielt sie definitiv von der Arbeit ab. Es war nun einmal schwierig, zu frühstücken und Kaffee zu trinken und gleichzeitig zu telefonieren.
»Kennen Sie den ›Goldenen Löwen‹ im Lehel?«, fragte er sie.
Moment mal! Das war Saugers Lokal! Selbst in ihrer Fantasie würde sie keinen Fuß in diesen Laden setzen, zu tief saß noch immer die Schmach der Blamage. Auch wenn sie natürlich gar nicht vorhatte, sich mit diesem Irren, von dem sie sich beim besten Willen nicht erklären konnte, was er eigentlich von ihr wollte und wie er an ihre Telefonnummer gekommen war, zu treffen.
»Äh«, druckste sie herum. Wie kam sie da nur wieder raus?
»Ehrlich gesagt, bin ich mir nicht sicher, ob ich es heute Mittag schaffe. Termindruck. Sie wissen ja, wie das ist.«
»Aber natürlich. Dann sehen wir uns spätestens auf der Pressekonferenz.«
Pressekonferenz? Auf welcher Pressekonferenz?
»Pressekonferenz?«, murmelte sie. »Ach so … ja, natürlich … die Pressekonferenz! Das ist wirklich, äh, eine sehr gute … Idee!«
»Schicken Sie mir einfach eine Einladung, dann halte ich mir den Termin frei. Sollte ich nicht rechtzeitig da sein können, findet sich bestimmt eine Gelegenheit, im Anschluss ein wenig zu plaudern. Ich gebe Ihnen meine Mailadresse. Haben Sie etwas zu schreiben?«
Vito verabschiedete sich überschwänglich und legte auf. Hastig entsorgte Marlene die Reste ihres Frühstücks und schaufelte ihren Schreibtisch frei. Der mysteriöse Anrufer hatte sie auf eine
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