Vergiss nicht zu atmen
ich sehr leise. Bitte sag ja. Okay, Kelly hatte Recht. Ich liebte ihn immer noch und ihn so zu sehen, an einem schlechten Tag, am liebsten hätte ich mich in ein stilles Kämmerlein verkrochen und geweint. Bitte, dachte ich, lass diesen Mann heilen. Und Gott, bitte beschütze mein Herz, denn ich kann es nicht ertragen, wenn es erneut bricht.
Er schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht.“
„Na ja“, sagte ich traurig. „Denk darüber nach.“
„Da ist etwas“, sagte er in einem heiseren Flüstern.
„Was?“
„Mein Arzt sagt… Ich soll mit Lauftraining beginnen. Und… na ja… Du hast gesehen, wie ich gehe. Ich brauche einen Aufpasser. Hauptsächlich jemand der mir folgt und einen Krankenwagen ruft, wenn ich hinfalle.“
„Du möchtest, dass… ich mir dir laufe?“
Er nickte. Seine Augen schauten von mir weg, so als hielte er nach einem Fluchtweg Ausschau, und dann sah er wieder zu mir. „Sieh mal, ich hätte dich das nicht fragen sollen. Ich kenne nur sonst niemanden hier.“
Mein Herz stoppte. „Ich würde gern mit dir laufen Dylan. Wann?“
„Morgen? Um 6?“
„Am Morgen?“
„Ist das zu früh?“
Ja.
„Nein, das ist okay.“
Guter Gott. Was tat ich da?
Mein Mund war wieder schneller als mein Hirn. „Gib mir deine Nummer, falls etwas dazwischen kommt.“
Und so tauschten wir zum ersten Mal seit wir uns im Februar getrennt hatten, unsere Telefonnummern aus.
Nachdem wir uns verabschiedet hatten, ging ich zurück zum Wohnheim. Und ich hatte Angst. Oh Gott, hatte ich Angst. Angst, dass ich alles ruinieren würde. Diese Angst war sogar noch größer als die Angst, dass er alles ruinieren würde. Angst, dass ich ihn wieder nah an mich heran lassen würde, und dass er mir erneut das Herz brechen würde.
Letzten Februar… das war ein Alptraum gewesen. Jede Nacht hatte ich mich in den Schlaf geweint. Mich selbst wirklich gequält.
Ich war völlig fertig gewesen.
Ich ging zurück zum Wohnheim und öffnete die Tür, dann setzte ich mich auf mein Bett, meine Augen wandten sich in Richtung der untersten Schublade meines Schreibtisches. Mach das nicht, dachte ich. Ich hatte alles weggepackt nachdem ich sechs Wochen nichts von ihm gehört hatte, er auf nichts geantwortet hatte.
Ich fühlte mich als ob ich gleich anfangen würde zu weinen. Wie ein Roboter, der keine Kontrolle über seine Bewegungen hatte, lehnte ich mich vor und öffnete die Schublade.
Um bei einer zufälligen Überprüfung, zum Beispiel von einer oberneugierigen Zimmergenossin, nicht aufzufallen, lagen ein paar zusammengefaltete Pullis obenauf.
Darunter aber war eine Kiste. Ich holte sie aus der Schublade, setzte sie auf dem Bett neben mir ab und öffnete sie.
Ganz oben lag ein 20 x 25 cm großes Foto von mir und Dylan. Er lag auf der Seite im Gras, seinen Kopf auf seine Hand gestützt. Er trug einen schwarzen Trenchcoat und einen weißen Rollkragenpulli und er lächelte. Ich lag zusammengerollt gegen seine Beine gekuschelt und schaute ihn an. Auf dem Foto schauten wir uns in die Augen, die Gesichter nah beieinander, beide hatten wir ein breites Lächeln im Gesicht.
Eine Träne rollte über mein Gesicht, als ich es anschaute. Ärgerlich wischte ich sie weg und legte das Foto zur Seite.
Unter dem Bild war ein dickes Lederfotoalbum.
Darin befand sich unsere Liebesgeschichte.
Da waren wir, zusammen in Tel Aviv. Händchen haltend als wir auf dem Pier in Jaffa spazieren gingen. Bis zur Taille im Mittelmeer stehend, die Arme umeinander geschlungen.
Nebeneinander sitzend im Tour Bus. Er trug diesen lächerlichen Kufiya, den er in Nazareth gekauft hatte. Ich trug einen dünnen braunen Pullover, das Haar hing mir lose über die Schultern. Weil es ihm gefiel, wenn ich es offen trug. Sein Arm lag auf meiner Schulter.
Eine ganze Serie von Bildern der Jugendherberge in En Gedi am Toten Meer... wo wir uns zum ersten Mal geküsst hatten.
Jemand hatte ein Foto von uns gemacht, wie wir auf den Golanhöhen stehen, der See Genezareth im Hintergrund. Er stand hinter mir, die Arme um meine Taille geschlungen, mein Kopf war zurückgelehnt und ich lachte laut.
Eine Serie von angegrauten Fotos, die wir in einem Fotoautomat an der Bushaltestelle in San Francisco gemacht hatten. Er war im Sommer nach seinem Abschlussjahr an der High School mit einem Greyhoundbus den ganzen Weg von Atlanta gekommen, um mich zu sehen. Auf den Fotos trug er eine Lederjacke und einen Fedora Filzhut, und wir küssten
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