Vergissmichnicht
hätten.« Sie beäugte ihn misstrauisch. »Sie sind doch nicht etwa einer von diesen durchgeknallten Esoterikern?«
Ole seufzte. Wieso hatte ihm das Schicksal ausgerechnet die unangenehmste Frau Badens an die Seite stellen müssen? »Nein, Frau Grundel«, sagte er. »Ich bin kein durchgeknallter Esoteriker.« Und aalglatt fügte er hinzu: »Sie haben natürlich recht, ich sollte mich besser auf meine Arbeit konzentrieren. Gibt es etwas Neues?«
»Keine Fußspuren«, bedauerte der Mann von der Spurensicherung. »Wir haben Pech, dass unmittelbar hinter dem Tatort ein asphaltierter Weg beginnt. Da bleiben selten Fußabdrücke zurück. Mein Kollege schaut sich gerade noch den Uferbereich an.« Er deutete auf einen Mann in Einsatzkleidung, der mit einer Taschenlampe am Ufer kniete und angestrengt auf den steinigen Boden starrte. »Die Todesursache dürfte feststehen, der Todeszeitpunkt auch in etwa: Die Frau ist noch keine Stunde tot. Weiteres muss die Obduktion ergeben, wir sind hier so gut wie fertig.«
»Wie schnell bekommen wir die Ergebnisse?«, fragte Ole. Der Gerichtsmediziner, der neben der Leiche kniete, sah auf. »Ich werde mich beeilen«, versprach er. »Da ist mir persönlich dran gelegen. Eine Sauerei, was die mit der Frau gemacht haben.«
»Das können Sie laut sagen, Kollege«, bekräftigte Ole. »Dann werde ich noch mal versuchen, Frau Tuleit zu vernehmen. Sie brauchte vorhin noch etwas Zeit, um sich zu fassen.«
Und ohne die Antwort seiner zickigen Kollegin abzuwarten, stapfte Ole zurück: den Hang hinunter zu Alexandra Tuleit, neben der inzwischen ein großer, schlanker, bebrillter Mann Mitte 50 kniete. Ole fluchte innerlich. Viel wusste er noch nicht über diese Stadt. Aber dass der Mann neben Alexandra Manfred Meinwald, der Lokalchef des Südkurier war, das war ihm bekannt. Sein Konterfei zierte beinahe täglich die Meinungsspalte im Überlinger Lokalteil. Manfred Meinwald hatte wohl zu jedem Thema, das die Stadt bewegte, eine ausgeprägte Meinung und er zögerte nicht, sie seinen Lesern in scharfen Kommentaren oder sarkastischen Glossen kundzutun. »Der Meinwald, der hat eine spitze Feder«, hatte der Überlinger Polizeichef gleich am ersten Tag zu Ole gesagt. Dass Meinwald sich nun hier am Tatort aufhielt, bedeutete ohne Frage, dass sich der Mord morgen, spätestens übermorgen, nicht nur auf der Titelseite des Lokalteils, sondern vermutlich auch im überregionalen Teil des Blattes wiederfinden würde.
»Guten Tag, mein Name ist Ole Strobehn, Polizei Überlingen », stellte er sich vor.
Manfred Meinwald erhob sich. »Meinwald, Südkurier.« Er gab Ole die Hand. Meinwalds Händedruck war kräftig, der Blick, der Ole traf, hellwach, intelligent und klar.
»Ich muss Ihnen jetzt ein paar Fragen stellen, Frau Tuleit«, wandte sich Ole an Alexandra, die immer noch auf dem Stein am Ufer kauerte. »Bitte begleiten Sie mich zum Einsatzwagen.«
Meinwald reichte Alexandra die Hand und zog sie hoch. Ole fragte sich flüchtig, wie er den Journalisten loswerden sollte, aber bevor er den Gedanken zu Ende denken konnte, gab Alexandra ein leises Stöhnen von sich und brach zusammen.
Sofort war der Notarzt bei ihr. Zwar erlangte Alexandra unter seinen kundigen Händen rasch das Bewusstsein wieder, aber vernehmungsfähig war sie an diesem Abend nicht mehr. »Das muss bis morgen warten, wir bringen sie jetzt ins Krankenhaus«, erklärte der Notarzt streng.
»Ich komme gleich nach!«, rief Meinwald den Sanitätern, die die Liege mit Alexandra den Hang hinaufschleppten, nach. Dann wandte er sich Ole zu. »Ich kann Ihnen nur sagen, was sie mir bereits erzählt hat: Die Tote ist Elisabeth Meierle, eine alte Dame, die in einer der Nußdorfer Seevillen wohnt. Sie wollte Alexandra irgendetwas Brisantes mitteilen. Die beiden waren hier verabredet, Alexandra hatte schon davor ein komisches Gefühl und hat mich deshalb per SMS gebeten, unauffällig vorbeizuschauen.«
»Wann war das?«, fragte Ole.
Meinwald zog sein Handy aus der Tasche und öffnete den Ordner mit seinen SMS. »Um 21.28 Uhr. Also vor genau …«, er sah auf die Uhr, »… einer Stunde.«
»Danke«, nickte Ole. »Hat sie sonst noch etwas gesagt?«
»Nein«, gab Meinwald kopfschüttelnd zurück.
»Sie müssten Ihre Aussage morgen auf dem Revier noch zu Protokoll geben.«
»Selbstverständlich, gerne. Sind ja nur ein paar Schritte von der Redaktion aus«, stimmte Meinwald zu und lächelte fein.
»Also dann.« Ole wandte sich zum Gehen.
»Ach, Herr
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