Vergissmichnicht
noch tragischere Mitteilung machen. Bei der Toten handelt es sich um Elisabeth Meierle. Es … es tut mir sehr leid. Nochmals mein tief empfundenes Beileid.«
Stefanie spürte, dass der Boden unter ihren Füßen zu schwanken begann. Dann wurde es dunkel.
Achtes Kapitel
St. Tropez, Frankreich
Marlene stand noch immer am Hafen und starrte auf das Wasser. Sie wusste, dass der Chauffeur längst auf sie wartete und vermutlich langsam begann, sich Sorgen zu machen. Aber das war ihr egal. Sie war zu tief in dem Moment – und auch in der Vergangenheit – verhaftet, um mehr als nur einen flüchtigen Gedanken an den wartenden Jean-Luc zu verschwenden. Wie surreal die Szenerie wirkte. Die Uferkante war von Malern gesäumt, die sich mit ihren Staffeleien, Pinseln und Stiften ausgebreitet hatten und darauf hofften, dass ein reicher Tourist sich wahlweise porträtieren lassen oder eine der auf Leinwand gebannten St.-Tropez-Idyllen erwerben würde. Vor dem Kontrast der Maler in ihren oft zerrissenen und ärmlich wirkenden bunten Kleidern wirkten die Reichen und Schönen, die sich dahinter auf ihren Luxusyachten in der Sonne und in den Blicken der Gaffenden aalten, noch prächtiger. Sie saßen auf ihren Sonnenterrassen, schlürften Champagner, rauchten dicke Zigarren und ignorierten die staunenden Menschen am Ufer gekonnt. Es sei denn, sie waren allein unterwegs und männlichen Geschlechts. »Come on«, lud ein tief gebräunter Enddreißiger in engen weißen Jeans und offenem weißen Hemd zwei junge Frauen in hautengen Neonkleidern ein, die an Land standen und ihn anstarrten. Die Mädchen sahen sich ungläubig an und gingen dann, von einem weiteren »come on« des Mannes ermutigt, kichernd an Bord.
Marlene wandte sich angewidert ab und ließ den Blick über die anderen Yachten schweifen. Ob sich ihre Besitzer auch so einsam fühlten wie sie? Ob der Kaviar schal schmeckte auf ihren Zungen? Und ob der Geschmack von Champagner für sie zum Geschmack der Einsamkeit geworden war?
Plötzlich fühlte Marlene einen heftigen Stoß von hinten. Sie schrie auf, stolperte nach vorne und hätte wohl das Gleichgewicht verloren und wäre in die schmale Spalte zwischen zwei Yachten mit englischer Flagge gefallen, hätten sie nicht im letzten Moment zwei starke Arme von hinten gepackt und zurückgerissen.
»Hoppala«, sagte eine dunkle Stimme. »Da sind wohl zwei sehr hübsche Damen zusammengestoßen.«
Marlene drehte sich um und blickte in das freundliche Gesicht eines älteren, bebrillten Herrn und in das erschrockene einer schmalen, unscheinbaren Frau mit mausgrauen Haaren und goldenem Brillengestell. Marlene bemerkte, dass die Mausgraue feuerrot im Gesicht war und sie irgendwie seltsam anblickte.
»Bitte entschuldigen Sie«, sagte die Dame auf Deutsch. »Ich habe nicht aufgepasst und bin gegen Sie gestoßen. Es … es ist so eng hier.« Sie machte eine unbeholfene, weit ausholende Geste.
»Natürlich«, gab Marlene freundlich zurück, rückte sich ihre überdimensionierte Sonnenbrille zurecht und strich sich über das perfekt frisierte Haar. »Es ist ja nichts passiert. Sie brauchen sich also nicht zu entschuldigen.«
Erst nachdem sie geantwortet hatte, fiel ihr auf, dass die Fremde sie auf Deutsch angesprochen hatte und dass sie, ohne nachzudenken, geantwortet hatte. Merkwürdig, dachte sie misstrauisch. Woher die Frau wohl wusste, dass ich sie verstehen werde? Gleich darauf schalt sie sich eine Närrin, die hinter jeder Kleinigkeit Gespenster sah oder eine Verschwörung witterte. Schließlich, das hatte sie in den zahlreichen Luxusrestaurants an St. Tropez’ Hafen und auch in der Innenstadt mit ihren zauberhaften, verwinkelten Gässchen oft genug erlebt, plapperten viele deutsche Touristen einfach in ihrer Sprache los und bauten darauf, dass man sie schon verstehen würde. Was häufig auch der Fall war. Aber trotz dieser einfachen Erklärung war ihr irgendwie unbehaglich zumute.
»Ich darf mich dann verabschieden«, sagte der nette ältere Herr, dem Akzent nach Engländer, in perfektem Französisch. Er schüttelte beiden Damen die Hand, verneigte sich und ging dann auf eine gut gekleidete Seniorin zu, die ein paar Meter weiter auf ihn wartete.
»Sie sprechen aber gut deutsch«, sagte die Mausgraue und sah Marlene forschend an.
»Ja«, antwortete Marlene. »Ich bin Deutsche. Aber ich lebe seit vielen, vielen Jahren in Frankreich. Besser gesagt: seit Jahrzehnten.«
»Oh, wirklich, wie interessant«, antwortete die andere. »Ich
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