Vergissmichnicht
Strobehn, das ist meine Kollegin Grundel. Bitte entschuldigen Sie die frühe Störung.« Er holte tief Luft und blickte Stefanie direkt in die Augen. In seinem Blick las sie etwas, das ihre Angst sofort erneut auflodern ließ. Mitleid? Bedauern?
»Ich habe leider keine guten Nachrichten, Frau Schwarz«, begann Ole dann auch. »Es ist nämlich so, dass …«
»Wir sind vom Polizeirevier Überlingen. Wir haben Ihre Großmutter gestern Abend tot aufgefunden. Ermordet. Normalerweise würden unsere Kollegen vor Ort Ihnen die Nachricht überbringen, aber da es sich um einen Mordfall handelt und wir uns aus dem Gespräch mit Ihnen entscheidende Erkenntnisse erhoffen, sind wir selbst gekommen«, fiel ihm Monja Grundel barsch ins Wort. Sie fand, dass ihr Kollege nun schon lange genug um den heißen Brei herumgeredet hatte. Das half der Frau ihrer Ansicht nach auch nicht weiter, dieses Gestotter. Man musste sagen, was man zu sagen hatte.
Ole warf ihr einen bösen Blick zu. Unsensible Ziege, dachte er bei sich, konzentrierte seine Aufmerksamkeit aber gleich darauf wieder auf Stefanie Schwarz, die, wie er fand, äußerst merkwürdig dreinblickte. Sie stand offensichtlich unter Schock. »Frau Schwarz?«, fragte er vorsichtig.
»Aber …«, begann Stefanie und machte eine hilflose Geste. »Aber …«
»Es tut mir entsetzlich leid, Frau Schwarz. Mein aufrichtiges Beileid. Ihre Mutter wird derzeit von den Kollegen in Frankreich benachrichtigt. Den weiten Weg nach Frankreich konnten wir nicht auf uns nehmen. Ihnen wollten wir die Nachricht aber persönlich überbringen.« Er versuchte, die ruppigen Worte Monja Grundels zumindest ein wenig wieder auszubügeln.
Stefanie schwieg noch immer.
»Vielleicht ist es besser, wenn Sie zu Ihrer Mutter nach Frankreich reisen«, sagte Ole hilflos, um das Schweigen zu brechen. Wieder einmal verfluchte er Monja Grundel. Sonst plapperte sie immer dazwischen, aber wenn er einmal stumm hoffte, dass sie etwas sagte, schwieg sie wie ein Fisch.
Endlich ergriff Andreas Schwarz das Wort. »Seit wann hast du denn eine Großmutter?«, fragte er seine Frau und sah sie über den breiten Holzküchentisch, auf dem rotes Porzellan mit weißen Punkten schon auf ein fröhliches Familienfrühstück wartete, an. »Und wieso ist deine Mutter in Frankreich? Wir waren doch letztes Wochenende bei ihr zum Kaffeetrinken in Überlingen. Da hat sie kein Wort davon gesagt, dass sie verreisen will.« Er schüttelte langsam den Kopf und sah von seiner Frau zu Ole und dann zu der schweigsamen Monja Grundel, die mit verschränkten Armen dastand. »Irgendwas stimmt hier nicht«, schlussfolgerte er.
»Aber das ist es ja eben.« Auch Stefanie hatte inzwischen die Sprache wiedergefunden. »Ich habe gar keine Großmutter. Ich hatte auch nie eine. Sie war schon tot, als ich auf die Welt kam. Und meine Mutter ist auch nicht in Frankreich, sondern in Überlingen.«
In diesem Moment ging die Küchentüre auf und Tim und Nina kamen herein. Als sie die beiden Fremden sahen, blieben sie schüchtern stehen. Zwar trugen Monja Grundel und Ole Strobehn als Kriminalbeamte keine Uniform, aber eigenartig fanden die sonst eigentlich gar nicht schüchternen Kinder es schon, dass so früh am Morgen Fremde in ihrer Wohnung standen. Außerdem nahmen sie mit dem untrüglichen Sinn der Kinder die angespannte Situation wahr und das machte ihnen Angst.
»Kommt, Kinder, ihr dürft ausnahmsweise fernsehen«, sagte Stefanie geistesabwesend.
Sofort leuchteten die Kinderaugen auf. Fernsehen durften sie äußerst selten, deshalb war das immer ein Fest. »Komm, Nina«, rief Tim aufgeregt und zog seine Schwester an der Hand ins Wohnzimmer.
Stefanie wandte sich wieder an die Polizisten. »Wie ich schon sagte: Ich habe keine Großmutter. Weder väterlicherseits noch mütterlicherseits. Und auch keine Mutter in Frankreich. So leid es mir tut, Sie müssen sich irren.«
»Also, das kann jetzt aber nicht sein«, schaltete sich Monja Grundel resolut ins Gespräch ein. »Aus unserer Datenbank geht ganz klar hervor, dass eine Christin Meierle Ihre Mutter ist.«
»Nein«, versicherte Stefanie. »Meine Mutter heißt Elisabeth Meierle. Eine Christin kenne ich nicht.«
»Das wird ja immer schöner. Sie wird doch wohl ihre eigene Geburtsurkunde kennen«, brummte Monja Grundel vorwurfsvoll.
Ole stieß sie in die Rippen. Er fand das Verhalten seiner Kollegin unmöglich und unprofessionell. Er räusperte sich. »Frau Schwarz, dann muss ich Ihnen eine wahrscheinlich
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