Vergissmichnicht
wegen Christin Meierle hier.«
Grubers rechter Mundwinkel begann sehr schnell und sehr fein zu zucken. Es dauerte nur Sekunden, dann hatte er sich wieder im Griff. Doch die paar Sekunden hatten ausgereicht. Charles hatte seine Reaktion bemerkt. Oder hatte er sich getäuscht? Schon wieder kroch diese Ungewissheit in ihm empor, die sich anfühlte, als sei er ohne Kompass auf dem Meer unterwegs und der Himmel sei wolkenverhangen, so dass er sich auch nicht an den Sternen orientieren konnte.
»Ich kenne nur eine Elisabeth Meierle«, erklärte Gruber und winkte ungeduldig seine Frau herbei, die soeben mit einem Silbertablett in der Türe erschienen war. »Das heißt, ich kenne oder kannte sie nicht persönlich, aber ich wurde im Zusammenhang mit dem Mord an ihr fälschlicherweise verhaftet.« Er warf einen vorwurfsvollen Blick auf Monja Grundel. »Glücklicherweise hat sich das ja nun aufgeklärt.«
Monja Grundel kommentierte Grubers Worte mit einem abfälligen Schnauben und antwortete auf seinen vorwurfsvollen ihrerseits mit einem grimmigen Blick.
Beate Gruber stellte das Kaffeetablett auf den Tisch. Hochmoderne und hauchdünne Tassen und Untertassen. Viereckig und aus weißem Porzellan. Das Geschirr klapperte etwas auf dem Tablett und Charles registrierte, dass ihre Hände leicht zitterten. Und er blickte auf abgekaute Fingernägel. Dann hob er den Blick und schaute direkt in Augen, die hinter den goldgeränderten Brillengläsern zu groß wirkten. Sekundenlang starrten sie sich an, keiner sagte ein Wort. Dann wandte Beate Gruber sich rasch ab und verließ mit einer gemurmelten Entschuldigung den Raum.
»Christin Meierle ist die Tochter des Mordopfers. Meine Frau. Sie ist verschwunden.«
»Verschwunden? Seit wann?«, fragte Gruber und wirkte nun ehrlich verblüfft.
»Sie verschwand einen Tag nach dem Mord an ihrer Mutter.«
»Merkwürdig«, sagte Gruber. »Merkwürdig und sehr bedauerlich für Sie, der Sie nun neben dem Tod Ihrer Schwiegermutter auch noch das Verschwinden Ihrer Gattin zu beklagen haben.«
Täuschte er sich oder hatte Grubers Blick etwas Lauerndes, Feindseliges bekommen?, fragte sich Didier.
»Nur leider«, fuhr Gruber fort, »kann ich in keinem der beiden Fälle weiterhelfen. Und ich muss Sie nun auch bitten, mich zu entschuldigen. Die Arbeit ruft. Ich muss jetzt wirklich dringend los.«
Er machte Anstalten, sich zu erheben. Monja Grundel hielt ihn zurück. »Wir hätten gerne noch Ihre Frau gesprochen.«
»Wozu?«
»Weil sie uns vorhin an der Türe sagte, dass mein Kollege heute Morgen bei ihr gewesen ist. Was wir natürlich auch seinem Terminkalender entnehmen konnten«, beeilte Monja Grundel sich, eine kleine Notlüge hinzuzufügen. Auf keinen Fall sollten die Grubers merken, wie schlecht es um die innerpolizeiliche Kommunikation stand.
»Und?«
»Das würden wir Ihrer Frau schon gerne selbst sagen.«
Gruber brummte verärgert. »Beate, kommst du mal bitte?«
Sofort erschien Beate Gruber im Türrahmen. Eine schmale, fast schmächtige Gestalt mit feuerroten Lippen und spiegelnden Brillengläsern. Es war klar, dass sie hinter der Tür gestanden und gelauscht hatte. »Setz dich doch einen Augenblick zu uns«, sagte Gruber. Seine Stimme war ungeduldig. Der Mann sprach mit seiner Frau, als sei sie ein lästiges Insekt.
Beate Gruber durchschritt das Wohnzimmer, nahm auf der äußersten Kante eines Sessels Platz, stellte ihre Schuhe in einer perfekten Linie nebeneinander und presste die Knie zusammen. Sie benahm sich ziemlich merkwürdig, fand Charles. Was ihn aber eher in dem leisen Verdacht bestärkte, Gruber könne der Mann sein, der seiner Frau all das angetan hatte. Der Mann, der Frauen erniedrigte und quälte. Der Mann, der ihr Leben zerstört hatte. Denn Beate Gruber verhielt sich wie eine Frau, die Angst vor ihrem Mann hat. Dazu passte auch ihr abwehrendes, schnippisches Verhalten an der Türe. Als wolle sie ihm die Polizei und andere unangenehme Dinge vom Leib halten, weil sie wusste, dass sie später die Konsequenzen tragen musste, wenn er sich ärgerte.
Dass Beate Gruber etwas mit dem Verschwinden seiner Frau zu tun haben könnte, darauf kam er nicht. Erstens war sie viel schwächer und zierlicher als die wesentlich korpulentere Marlene, die sich mit den Jahren zahlreiche Frust- und Wohlstandspfunde angefuttert hatte, zweitens war er überzeugt, dass Carlo Baders Mörder und Marlenes Peiniger auch der Mörder ihrer Mutter und der Entführer war. Und Carlo Baders Mörder war nun
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