Vergissmichnicht
ich weiß auch nicht. Ole meldet sich einfach nicht.«
»Vielleicht hat er viel zu tun?«
»Ja, das sicher. Und er kann im Dienst auch keine privaten Telefongespräche führen, seine Kollegin, die bissige Grundel, sitzt bei ihm im Zimmer. Aber manchmal schreibt er mir zwischendurch eine SMS oder eine E-Mail.«
»Was heißt manchmal?«, hakte Meinwald nach. »Stündlich? Halbstündig? Einmal am Tag?«
»Total unregelmäßig«, gestand Alexandra ein. »Mal mehrmals am Tag und dann höre ich einen ganzen Tag lang überhaupt nichts. So gut kenne ich ihn ja auch noch nicht. Wir sind erst seit ein paar Tagen zusammen.«
»Dann würde ich mir auch keine Sorgen machen, dass er sich jetzt noch nicht gemeldet hat. Zumal wir Männer anders ticken als ihr Frauen. Wir sind nicht ganz so kommunikationsfreudig.« Er grinste und setzte ein »Es sei denn, wir sind Journalisten« hinzu.
»Aber wenn du es gar nicht aushältst, dann schick ihm doch eine SMS oder ruf ihn an und sag, dass du dir Sorgen machst.«
»Sieht das dann nicht so aus, als würde ich ihm hinterherrennen?«, fragte Alexandra besorgt. »Ich will ihm nicht auf die Nerven fallen und auf keinen Fall so wirken, als würde ich klammern oder so. Nicht dass er denkt, ich würde ihm seine Freiheit rauben wollen.«
Meinwald lächelte. »Also, wenn es eine Frau gibt, bei der die Gefahr des Klammerns überhaupt nicht besteht, dann bist du das. Und das wird er sicherlich inzwischen gemerkt haben. Ich jedenfalls halte Ole Strobehn für sehr intelligent.«
Alexandra blickte ihn immer noch skeptisch an.
»Was schaust du so? Hältst du ihn etwa nicht für intelligent?«, scherzte Meinwald, wurde aber gleich darauf wieder ernst. »Alexandra, es ist nicht komisch, sondern schlichtweg normal, dass man sich Sorgen macht, wenn einem der Partner am Vorabend etwas Besorgniserregendes erzählt hat und sich dann nicht meldet. Jetzt schreib deine SMS und dann ab an die Arbeit. Wir haben schließlich eine Zeitung zu füllen.«
Er grinste ihr noch einmal aufmunternd zu und erhob sich dann, um an seinen eigenen Schreibtisch zurückzukehren, der als einziger in dem Großraumbüro, dem sogenannten ›Newsroom‹, etwas abgeschirmt war. Am Anfang hatte sich Alexandra mit dem Großraumbüro überhaupt nicht anfreunden können. Zum Schreiben hatte sie absolute Ruhe gebraucht, die sie im Newsroom nicht fand. Ständig telefonierte einer der Kollegen, kamen Leser mit Anliegen vorbei oder jemand betätigte die Kaffeemaschine in der Kücheninsel, die sich in der Mitte des Raumes befand. Mittlerweile hatte sie sich jedoch daran gewöhnt und liebte das geschäftige Treiben in der Redaktion und das energische Tastenklopfen ihres Kollegen Beier: Ein für seine kritische Schreibe ebenso gefürchteter wie geliebter Kollege, dem sie mittlerweile anhand der Intensität und der Geschwindigkeit, mit der er seine Finger über die Tasten galoppieren ließ, anhörte, ob er im Begriff war, eine Meldung zu verfassen, die ihn langweilte, oder ob er sich für das Thema, über das er gerade schrieb, erhitzte. Momentan, stellte Alexandra anhand des Tastenklangs fest, erhitzte sich der Kollege ganz außerordentlich, was ihr ein vorsichtiger Blick über die halbhohe Trennwand und ins ernste und hoch konzentrierte Gesicht Beiers bestätigte. Sie konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen und dachte, was für ein Glück sie doch hatte, in dieser Redaktion gelandet zu sein. Es gab eigentlich niemanden, den sie hier nicht mochte. Seufzend zog sie ihr Handy aus der Tasche, tippte ›Alles klar? Keine Ahnung warum, mache mir irgendwie Sorgen. Meld Dich bitte kurz. Kuss, A.‹ in ihr Handy und drückte auf ›Senden‹. Sofort fühlte sie sich besser. Ole würde sich innerhalb der nächsten Minuten melden. Dessen war sie sich mit einem Mal ganz sicher.
Sie legte ihr iPhone neben die Tastatur, vergewisserte sich, dass es auf laut gestellt war, und suchte in ihrem Notizblock nach den Mitschrieben für den Artikel, den sie nun endlich verfassen musste. Es war ein Beitrag über einen sehr von sich überzeugten Künstler, der Bodensee-Aquarelle malte. Der Alltag hatte sie wieder.
Zweiunddreißigstes Kapitel
Konstanz
Charles Didier stieg die breiten, flachen Betonstufen zum Gruberschen Haus empor und klingelte an der hochmodernen Briefkasten-Klingelanlage aus Edelstahl, auf der man erst eine Weile lang nach dem äußerst dezent wirkenden Klingelknopf suchen musste. Es gab eine Vielzahl von Knöpfen, die ähnlich aussahen wie
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