Vergraben
selbst glaubte, dass sie stimmte.
Als Bob vor Nathans Haustür anhielt, war es noch dunkel. Sie waren schmutzig.
»Wir sollten uns nicht wiedersehen«, meinte Bob.
»Nein.«
»Aber du kannst immer auf mich zählen. Das sollst du wissen.«
»Das weiß ich.«
»Und kann ich auf dich zählen?«
»Ja.«
Nathan öffnete die Autotür. Er schwankte und fügte dann hinzu: »Solange ich dich nie wiedersehe, Bob. Niemals.«
Bob nickte.
Und Nathan trat auf den Asphalt. Seine Kleider und Schuhe und Haare und Wimpern waren mit Dreck verklebt. Seine Nägel waren zersplittert und schwarz unter den Rändern.
Er ging zur Eingangstür und tastete nach dem Schloss. Dann schlüpfte er durch die Tür und rannte die Treppe hinauf in seine Wohnung. Im dämmrigen Licht zog er sich die Schuhe und die Socken und das Hemd aus, den Anzug und die Unterwäsche, und warf alles in die Waschmaschine.
Dann ging er duschen. Er sah, wie das Wasser erst braun wurde, dann grau, dann klar. Er starrte auf das Stück Pears -Seife in seiner Hand, das aussah wie ein riesiges, durchsichtiges Bonbon, sog den saubersten Geruch ein, den er kannte, und fing an zu weinen.
9
Das bisschen, was von Nathan noch übrig war, wurde vom Sonnenaufgang ausgelöscht.
Durch die Gipskartonwände hörte er die Toilettenspülung, den pfeifenden Wasserkessel, das dumpfe Radio: Die Nachbarn wachten auf und begannen den Tag. Er hielt sie für Halluzinationen.
Sara kam am Nachmittag nach Hause, jedoch nur, um ihn zu verlassen.
Er lag im Bett und sagte nichts, während sie drei Koffer vollpackte, die sie dann gewaltsam in den Kofferraum ihres alten Golf zwängte. Sie würde bis nächsten Samstag bei ihrer Freundin Michelle übernachten, bis dahin musste Nathan eine neue Wohnung gefunden haben.
Er stand auf. Vor seinen Augen explodierten Leuchtraketen in allen Farben. Er schwankte.
»Hör zu, es tut mir leid.«
»Was? Dass du dachtest, ich flirte mit diesem bärtigen kleinen Scheißer? Oder dass du mich einfach allein gelassen und dann auf einer Party blamiert hast, wo ich überhaupt niemanden kannte?«
Sie sah ihn mit müden und zornigen Augen an. Ihr Haar war noch feucht, man sah die Spuren eines Kamms, es duftete nach Shampoo.
»Na schön«, sagte Nathan. »Wie du willst.«
Nachdem sie gegangen war, stand er da und starrte auf die Tür. Als er aus seiner Reglosigkeit wieder erwachte, war es bereits dunkel.
Hinter ihm bewegte sich etwas – ein leises Rascheln, als lauerte dort jemand in einer dunklen Ecke. Seine Nackenhaare stellten sich auf wie die eines Hundes, und er ging schnell durch die Wohnung, um die Lampen einzuschalten.
Als er damit fertig war, saß er da und starrte auf die gelbe Glühbirne, aus Angst, sie könnte in der Nacht durchbrennen und die bevölkerte Dunkelheit an ihn heranschleichen lassen.
Er erwachte in einem Anfall von Panik. Jemand lag neben ihm im Bett. Nase an Nase beobachtete sie das Flackern seiner träumenden Augen. Alle Birnen waren durchgebrannt. Die Wohnung lag im Dunkeln.
Es dauerte lange, bis er wieder atmen konnte. Aber es war nicht dunkel: Es war Morgen. Montagmorgen, sein zweiter Tag in dieser neuen Welt. Das Sonnenlicht wurde klar, dann wieder trüb. Er rannte zur Toilette und übergab sich. Er hatte seit Samstagnachmittag nichts gegessen; er konnte nichts mehr erbrechen.
Während er den Geschmack der gelben Säure wegspülte, wagte er nicht, in den Spiegel zu sehen. Aber da war nichts hinter ihm, nur das Badezimmer. Sein blasses Spiegelbild sah aus wie das Gesicht von jemandem, der irgendeine Katastrophe überlebt hatte, ein Zugunglück oder vielleicht einen Bombenanschlag, von jemandem, der gefilmt wird, wie er am Straßenrand mit blutüberströmter Stirn unter einer grauen Decke kauert.
Er fragte sich, was er tun konnte.
Nichts. Es war geschehen. Er konnte es nicht ungeschehen machen.
Bei diesem unerträglichen Gedanken umklammerte er den Rand des Waschbeckens.
Dann folgte ein Augenblick merkwürdiger Euphorie. Etwas in ihm begann matt zu leuchten, dann schien es anzuschwellen, bis es durch die Poren seiner Haut hinausströmte. Es verließ seinen Körper, und er schwebte oben in der Ecke des Badezimmers und schaute auf sich selbst und sein Spiegelbild hinab. Dann begann dieses Etwas sich wieder zusammenzuziehen, sich zusammenzufalten wie ein Flügelpaar, und in seinen Körper zurückzukehren. Nachdem dieser flüchtige, unerklärliche Glücksrausch vorbei war, konnte er nicht in Worte fassen, was er gespürt
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