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Vergraben

Vergraben

Titel: Vergraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Cross
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»Und was jetzt?«
    Aus dem Augenwinkel sah er, wie sie ihre Handtasche unter dem Mantel hervorholte. Sie kramte darin herum, nahm ein Taschentuch heraus und putzte sich die Nase. Dann griff sie schnell nach der Puderdose, klappte sie auf, betrachtete ihre verquollenen Augen und das verschmierte Make-up im kleinen Spiegel, sagte »O Gott«, schloss die Puderdose, steckte sie wieder in ihre Tasche und schob diese zurück unter den Mantel.
    Sie stand auf und sagte: »Tut mir leid, dass ich dir das antue.«
    »Schon gut, ich verstehe das.«
    »Danke für die Zigaretten.«
    Es klang wie das Trostloseste, das er je gehört hatte.
    Er sagte: »Ich ruf dich an.«
    Sie schien einen Augenblick nachzudenken. Dann schüttelte sie den Kopf und zog die Nase kraus.
    »Lieber nicht.«
    Sie streifte sich den Wintermantel über das neue Kleid und machte dann den Gürtel zu. Sie überprüfte die Schnalle ihrer Handtasche und hängte sie sich über die Schulter. Sie kam näher, um ihn auf die Wange zu küssen. Sie musste sich auf die Zehenspitzen stellen.
    Sie drückte ihm die Hand und ging.
    Er sah ihr nach. Dann drehte er sich um und machte dem australischen Barmann ein Zeichen, um einen großen Gin Tonic mit Eis zu bestellen. Der Barmann ließ ihn wie einen Hammer auf den Tresen fallen. Dann stellte er sich mit den Händen in den schmalen Hüften und dem Geschirrtuch am Gürtel seiner schicken Barmannhose vor Nathan hin.
    »Alles klar, Kumpel?«
    »Nicht wirklich.«
    Nathan leerte das Glas auf ex. Dann legte er ein paar Scheine auf die Theke, und ohne sein Restgeld oder den Dank des Australiers für das großzügige Trinkgeld abzuwarten, nahm auch er seinen Mantel und ging.

17
    Am nächsten Morgen parkte Nathan gegenüber dem Immobilienmaklerbüro Morris Michael. Es lag an einer Hauptstraße, und er stand im absoluten Halteverbot, mit zwei Rädern auf dem Gehsteig und dem vorderen Teil des Wagens im Bereich einer Bushaltestelle.
    Er wusste nicht einmal, warum er das tat. Holly würde nicht durch den Vordereingang hineingehen, sie würde mit ihrem Golf Cabrio von hinten über die Merrily Road herfahren. Wahrscheinlich würde sie sich in der kleinen Küche hinten eine Tasse Tee machen und sich mit ein paar Kollegen unterhalten, bevor sie nach vorne ging und ihren Computer startete. Jemand würde das Gitter hochfahren und die Lichter einschalten.
    Er fragte sich, was sie wohl tun würde, wenn sie ans Fenster trat und sah, wie er da draußen traurig am Steuer saß. Er stellte sich vor, wie sie im ersten Moment vor Angst und Überraschung zusammenzucken würde – was angebrachter war, als sie ahnen konnte –, und wurde schwach vor Scham.
    Dennoch wartete er, bis die Lichter eingeschaltet wurden.
    Dann drehte er den Schlüssel in der Zündung und schoss geradewegs in den Verkehr.
    Er kam eine Stunde zu spät zur Arbeit.
    Am Morgen war er in Eile aufgestanden. Sein Hals war an einer Stelle wund vom Rasieren. Seine Koteletten waren unterschiedlich lang. Er war nicht von einem dezenten Hauch Acqua di Parma umgeben. Er hätte ebenso gut nackt und nur in eine zerlumpte Decke gehüllt erscheinen können. Augenbrauen wurden hochgezogen.
    Er machte seine Bürotür zu und stellte die Aktentasche auf den aufgeräumten Schreibtisch. Dann setzte er sich und loggte sich ein.

    Er wartete, so lange er es ertragen konnte, eine ganze Arbeitswoche, dann rief er sie im Immobilienbüro an. Deepak fragte nach seinem Namen. Darauf folgte eine bedeutungsschwangere Pause. Deepak teilte Nathan mit, dass Holly gerade nicht am Platz war und fragte, ob er vielleicht mit Tim sprechen wolle.
    Nathan lehnte dankend ab und sagte: »Ich versuch’s später noch mal.«
    Aber als er das tat, kam er zum gleichen Ergebnis.
    Manchmal konnte er selbst während Sitzungen nur schwer dem Drang widerstehen, einfach zu ihrer Arbeitsstelle zu fahren und davor im Auto zu sitzen. Er wollte einfach dasselbe sehen, was sie sah. Dann fühlte er sich ihr nahe.
    Er wusste, wie gefährlich das war. Hollys Toleranzgrenze für sonderbares Verhalten interessierter Männer war vermutlich niedrig. In Anbetracht ihrer gelegentlichen Medienpräsenz – und der erfolglosen Suche nach Elise – würde die Polizei wahrscheinlich sämtliche ihrer Beschwerden ernst nehmen.
    Wenn sie sich über Nathan beschwerte, würde es nicht lange dauern, bis die Polizei herausbekam, dass er ein Gast bei Mark Derbyshires Weihnachtsparty gewesen war. Und dann konnte Nathan ernsthaft in Schwierigkeiten

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