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Vergraben

Vergraben

Titel: Vergraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Cross
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aufzuhören. Unter seiner Hand lag ein langer Knochen. Selbst in der Dunkelheit sah er rissig und alt aus.
    Nathan setzte sich auf.
    »Es ist nichts mehr übrig.«
    Er saß am Rand der Grube. Die Erde war kalt, und er bekam einen feuchten Hintern. Er brauchte eine Zigarette. »Was machen wir jetzt?«, fragte er.
    Bob stützte sich auf seine Schaufel. Er hatte Dreck wie Tarnfarbe im Gesicht.
    »Wir versuchen so viel zu finden, wie wir können. Den Schädel. Die Hüftknochen. Die wichtigen Teile.«
    »Das ist ein verdammtes Skelett , Bob. Sie ist weg.«
    Bob war außer Atem. Er sah zu Nathan herüber und grub dann weiter.
    Innerhalb der nächsten Dreiviertelstunde fanden sie einige Wirbel; sie waren in der Erde verstreut wie die Perlen einer zerrissenen Halskette. Sie fanden einige Dutzend kleinere Knochensplitter. Sie warfen alles auf die Plastikfolie. Sie fanden noch zwei lange Knochen. Die landeten ebenfalls auf der Folie. Sie lagen da wie Feuerholz.
    Dann bückte Bob sich und untersuchte den Boden.
    Er hatte Elises Schädel gefunden. Er befand sich nahe der Biegung des Flusses.
    Er lag nicht mehr mit dem Gesicht nach unten.
    Ein Stück weiter sah Nathan die Spitze ihres Unterkiefers aus der Erde ragen. Er hob ihn auf und legte ihn auf die Plastikfolie. Dann half er Bob dabei, mit den Fingern unter den Schädel zu gelangen, um ihn aus der Erde zu befreien.
    Sie legten den Schädel auf die Folie. Nathan drehte ihn von ihnen weg, sodass er in die Bäume blickte.
    Eine Stunde später fanden sie die Einkaufstüte. Sie war schwarz und ölig und vom Gewicht des Bodens zusammengedrückt worden, aber intakt. Darin lagen die feuchten Überreste von Elises Kleidung. Nathan tastete sie ab: gefrorener Stoff, der schwarz geworden und verrottet war. Sogar das Gummi der Adidas-Schuhe war brüchig geworden. Aber sie warfen die Tüte ebenfalls auf die Plastikfolie.
    Dann hielten sie inne, um alles zu begutachten. Es sah nicht nach viel aus. Ein geborstener Schädel, ein paar zerbrochene Knochen. Eine Tüte Lumpen. Nathan schaute auf den aufgewühlten Boden hinunter.
    »Wir werden nie alles finden.«
    »Das macht nichts. Wenn ein Bauarbeiter etwas ausgräbt, was er für ein menschliches Skelett hält, ist er verpflichtet, die Polizei zu verständigen. Aber wenn er ein paar Knochensplitter an einem Fluss im Wald findet, was wird er dann denken? Er wird denken, dass sie von einem Tier stammen. Ich meine …« Er bückte sich, um ein Bruchstück von der Folie aufzuheben. Er kratzte die angetrocknete Erde ab und fragte: »Was ist das?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Ich auch nicht. Vielleicht ist es nicht mal ein Teil von ihr. Und wir sind schließlich die, die sie hier hingelegt haben.«
    Nathan zählte die langen Knochen.
    »Etwas fehlt. Ein Bein oder so was.«
    Bob betrachtete die Plastikfolie.
    »Wahrscheinlich wurde es damals verschleppt und gefressen. Von einem Dachs.«
    »Von einem Dachs ?«
    »Woher zum Teufel soll ich das wissen?«
    »Von einem Fuchs. Vielleicht einem Hund.«
    Sie untersuchten das Grab.
    »Wie spät ist es?«, fragte Bob.
    »Kurz nach drei.«
    »Okay. Dann haben wir nicht mehr viel Zeit.«
    Sie rollten die Knochen zu einem Plastikbündel zusammen und klebten dieses mit Isolierband fest. Sie ließen das Bündel unter den Bäumen liegen und begannen das Loch wieder zuzuschütten. Sie warfen Steine und verfaulte Blätter und Zweige und Äste in den Bereich, den sie umgegraben hatten. Das Atmen tat weh. Nathans Hände waren taub.
    Als sie fertig waren, begutachtete Bob den Schauplatz. Er untersuchte den Boden mit dem Strahl seiner Taschenlampe.
    Er fragte: »Hast du alles? Schlüssel, Portemonnaie? Brille? Alles, was du gekauft hast. Hast du nichts vergessen? Dein Handy?«
    »Nein.«
    »Bist du sicher?«
    »Ziemlich sicher.«
    »Zwei Taschenlampen«, listete Bob auf. Er zählte alles an seinen behandschuhten Fingern ab. »Zwei Schaufeln. Teppichmesser. Klebeband.« Er sah sich um. »Ich glaube, das ist alles.«
    Er tastete seine Taschen ab.
    »Autoschlüssel.«
    Nathan wartete, bis Bob den Schlüssel gefunden hatte. Sie gingen zu den Bäumen. Sie waren am Ende ihrer Kräfte und ihrer Geduld angelangt. Nathan nahm die Schaufeln. Bob hob die in Plastik gewickelten Überreste hoch.
    Das Bündel war leicht, aber sperrig, und Bobs Arme waren müde. Er konnte es nicht allein tragen. Er konnte es auch nicht hinter sich herschleifen; die Folie hätte von einer Baumwurzel aufschlitzt werden können. Nathan würde helfen

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