Vergraben
gefunden, etwas war verloren.
Er konnte in sie hineinsehen: Sie fragte sich, ob es das wert war, und hasste sich dafür.
Nathan hatte Kopfschmerzen. Der viele Kaffee und die vielen Zigaretten. Und kein Schlaf. Er war völlig ausgelaugt.
Holly goss sich ein Glas Leitungswasser ein. Sie trank es in einem Zug aus.
Mit dem leeren Glas in der Hand sah sie ihn an. Ihre Augen waren verquollen und wund. Sie sah erschöpft und alt aus.
Sie sagte: »Wenn ich zurückkomme, musst du weg sein.«
Er atmete tief ein. Er war so müde. Er war beinahe froh.
»Was immer du für das Beste hältst.«
Sie stieg die Treppe hinauf und packte ihre Sachen. Sie ging dabei nicht sehr methodisch vor. Später fand er die Schubladen noch offen: Sie hatte die Kleider scheinbar zufällig herausgerissen. Sie ließ ihre Lieblingskosmetik zurück, ihre Zahnbürste, das Buch, das sie gerade las. Sie kam mit einem großen Koffer die Treppe herunter, den sie mit beiden Händen hinter sich herschleifte. Es war derselbe Koffer, den sie in die Flitterwochen mitgenommen hatte.
Nathan stand ans Treppengeländer gelehnt in der Diele. Er rieb sich das stoppelige Kinn.
Er sagte noch einmal »Es tut mir leid.«
Sie konnte nicht antworten. Sie sah ihn an, hob dann den Koffer hoch und ging zur Tür, wobei sie sich wegen des Gewichts ganz auf eine Seite lehnte. Sie hievte den Koffer in den Kofferraum ihres Autos. Sie setzte sich ans Steuer. Sie blieb eine Weile dort sitzen und blickte auf ihren Schoß. Nathan beobachtete sie vom Fenster aus. Dann startete sie den Motor und fuhr davon.
Er stellte sich vor, wie sie am leeren Grab vorbeifuhr, an den Bäumen, die bald herausgerissen werden würden.
Dann drehte er sich um, ging nach oben ins Bett und rollte sich zusammen und schlief ein. Die Bettwäsche roch nach ihr.
39
Die Türklingel weckte ihn. Sonst hätte er vielleicht die ganze Nacht durchgeschlafen.
Es war Jacki. Er ließ sie herein. Er trug dieselbe Kleidung wie am Abend zuvor. Er hatte sich nicht gewaschen oder rasiert. Er trug bloß Socken.
»Kaffee?«, fragte er.
Sie nahm dankend an und folgte ihm den Flur entlang in die Küche. Er schaltete den Wasserkocher ein. Das Wasser begann zu brodeln.
»Ich wollte mal sehen, wie’s dir geht.«
Er zuckte mit den Schultern und dachte: Wonach sieht’s denn aus?
»Hast du mit ihr gesprochen?«
»Ja, heute Nachmittag«, antwortete Jacki. »Sie wird’s verkraften. Es war ein Schock. Gib ihr einfach Zeit.«
»Sie kann alles haben, was sie will.«
Jacki verschränkte die Arme, nickte und sah dabei auf den Boden.
Er sagte: »Ich hätte auf dich hören sollen. Vor so vielen Jahren.«
»Was geschehen ist, ist geschehen.«
Sie griff nach ihrem Kaffee, pustete darauf und sagte: »Meine Kollegen werden noch mehr Fragen stellen müssen – sobald du dich bereit dafür fühlst.«
Er bekam Gänsehaut. Er hoffte, dass sie es nicht bemerkte. »Was für Fragen? Bin ich in Schwierigkeiten?«
»Nein, gar nicht. Sie wollen einfach nur die ganze Geschichte hören. Zum Beispiel gibt es ein paar Blutergüsse an Mr. Morrows Kehle. Vielleicht werden sie danach fragen.«
»Ich musste ihn vom Sofa zerren. Er war so schwer. Ich hab seinen Hals mit der Armbeuge umschlossen – genau so – und ihn irgendwie runtergezerrt.«
»Siehst du. Ich wusste, es würde so was sein. Das habe ich ihnen auch gesagt.«
»Ihr habt schon darüber gesprochen? Jetzt machst du mich aber nervös.«
»Du hast keinen Grund, nervös zu werden. Du musst einfach nur ganz genau darüber nachdenken, was gestern Abend passiert ist.«
»Meine Güte, Jacki. Du machst mir ja Angst.«
»Das habe ich nicht vor. Es ist nur so, dass Leute, die einen Schock bekommen, oft verwirrt sind.«
»Ich kann ziemlich klar denken.«
»Denkst du klar an das zweite Whiskyglas?«
Einen Moment lang stand die Zeit still. Er blinzelte ihn weg.
»Was?«
»Da standen zwei Whiskygläser. Das, aus dem Morrow getrunken hat. Und ein zweites Glas. Fast unberührt. Eine sehr schwache Mischung. Mit viel Wasser drin. Viel, viel Wasser.«
Er hatte hineingespuckt.
Jacki wartete immer noch.
»Ich hab mir ein Glas eingeschenkt. Nachdem die Sanitäter gekommen sind. Um meine Nerven zu beruhigen. Dann hab ich’s mir anders überlegt.«
Jacki nickte. Sie lächelte nicht.
»Genau. Siehst du? Es gibt immer eine Erklärung. Wenn man genug Zeit zum Nachdenken hat. Kannst du gut schlafen?«
»Ja. Den Umständen entsprechend. Ich meine, nicht schlecht. Warum fragst
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