Verhängnisvoll - Felsing, K: Verhängnisvoll
Schmetterlingsflügels streifte seine Haut. Ein Mal. Noch einmal. Langsam, aber rhythmisch – und dann realisierte er es.
Herzschläge!
Sein lang gezogener Schrei nach Crabb mischte sich mit einem lauten Poltern. Knirschen. Harte Tritte von Stiefeln auf dem Steinboden der Küche.
Die Klapperschlange denkt häufig über das Sterben nach. Eigentlich eher über das Töten. Wenn die Gedanken eines Wesens erlahmen, der Schmerz sich allmählich auflöst, weil das Gehirn seine verbleibende Energie darauf verwenden muss, lebenswichtige Funktionen aufrecht zu erhalten – dann gerät der Körper in ein Gefühl der Schwerelosigkeit. Losgelöst vom Elend fließt das Blut immer langsamer, der Herzschlag beginnt zu stocken. Allmählich lassen die Schreie nach, der Körper wird zu schwach. Die Befehle des Gehirns werden unkoordiniert und ergeben keinen Sinn mehr. Das ist der Punkt, an dem die Seele der Freiheit entgegenstrebt, der Erlösung, und damit die Nahrung liefert, die die Sucht der Klapperschlange stillt.
Ben ist zu einem Serienkiller geworden und er weiß das. Nicht erst seit heute oder seit gestern – die Schlange hat sich vor vielen Jahren während einsamer Stunden in der Kartoffelkiste in seinen Geist eingenistet.
Klapperschlange hat er sie getauft, weil ihre Stimme von einem ständigen Rasseln begleitet ist. Er hat sich sehr bald angewöhnt, sie so zu behandeln, als gehörte sie nicht zu ihm. Das erleichtert ihn, er fühlt sich dadurch besser. Er liebt und er hasst die Klapperschlange, doch er weiß, sie und ihn verbindet eine untrennbare Symbiose.
Sie hat ihn vor den Monstern im Keller gerettet, verlockende Worte gerasselt, die ihm Erkenntnis und Freiheit verhießen. Sie hat ihre Versprechen gehalten, seine Schmerzen zu lindern, ihm Vergessen zu schenken und seinen Qualen ein Ende zu bereiten. Als Ausgleich dafür fordert sie Nahrung. Lebende Nahrung.
„Wie?“, hat er damals gejammert und dabei versucht, die Arme und Beine in eine Position zu bringen, die ihm nicht den Blutkreislauf abschnürt, sodass er nach einer Weile kein Gefühl mehr in den Gliedern hat.
„Ich zeige dir den Weg, wie du deinen Geist befreien kannst“, lautete das Rasseln. „Es wird dir helfen, glaub mir.“ Die Klapperschlange hat ihm nicht verraten, was sie vorhat.
Er hat bei den ersten Malen auch nicht mitbekommen, was passiert ist. Als sie ihn aufgefordert hat, die versteckten Tiere im Keller aus seiner Kartoffelkiste zu beobachten, hat er sich gefragt, wie sie überhaupt in ihre kleinen Gefängnisse geraten sind. Er hat eine Weile gebraucht, bevor er kapiert hat, dass er sein Handeln der Klapperschlange überlassen hat.
Sein erster Gefangener ist eine kleine Maus gewesen. Mit einem Stückchen Speck hat er sie in eine Laichbox gelockt und sie im Keller versteckt. Jedes Mal, wenn er in der verfluchten Kartoffelkiste gekauert hat, beobachtete er das Tier und sprach mit ihm. Teilte sein Leid. Er fühlte sich wie die Maus zugrunde gehen, und als sie nur noch steif in der Box lag, war es wie eine Befreiung, die seinen Geist in die Lüfte katapultierte.
Nur zu gut erinnert er sich, wie sein Gefängnis sich in Nichts aufgelöst hat, wie die Schmerzen abrupt abbrachen und eine Freiheit sich in seinem Kopf ausbreitete, als schwebte er über den Wolken. Wie ein mächtiger Greifvogel ist er im Sonnenschein dahingeglitten, in seinem scharfen Schnabel den Geist der Maus. Bis an die Himmelspforten hat er sie begleitet, ehe der rasante Absturz folgte und er in die verdammte Welt zurückgekehrt ist.
Die Klapperschlange hat gierig die Nahrung verschlungen, die er ihr über den Wolken lieferte. Dafür fängt sie ihn bis heute auf, gibt ihm Trost und befreit seinen Kopf von den Erinnerungen, bis ihr Hunger wieder wächst.
Fortan sind es mal Würmer in Plastikdosen gewesen, mal eine Kakerlake, die er in ein durchsichtiges Röhrchen sperrte. Ein Mal hat er sogar ein Kaninchen geschnappt.
Zur Freude der Klapperschlange. Sie hat so laut gerasselt wie nie zuvor.
Doch ihr Hunger wächst seit einigen Monaten. Sie fordert Nahrung, immer mehr, es ist, als wäre sie unersättlich. Dieses Monster ist seine dunkle Seite, die in einem Keller ihre Geburtsstunde feierte. Hin und wieder hat er Versuche unternommen, sich von der Bestie zu befreien, doch er ist es leid, ständig im Kampf gegen sich selbst zu stehen, als hätte er eine Immunschwächekrankheit, die die Körperabwehr zerstört und den eigenen Leib zugrunde richtet.
Wenn er der Klapperschlange
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