Verhängnisvoll - Felsing, K: Verhängnisvoll
selbst ansonsten immer dieses Privileg genossen. Es fühlte sich sonderbar an, als lastete eine Decke auf ihr, die von Stunde zu Stunde schwerer wurde und sie zu erdrücken versuchte. Verantwortung war keine unbekannte Größe, doch das hier war anders.
Ein Schauder lief über ihren Körper. Eine leise Ahnung, wie sich Simba unter der Last seiner Schuld fühlte, kroch ihr durch die Adern.
Sie hätte keinen Sex mit ihm haben dürfen. Nicht hier. Nicht jetzt. Ihnen lief die Zeit davon. Was war sie für ein Ungeheuer, in einer solchen Situation auch nur das geringste Verlangen zu verspüren? Pure Verzweiflung, flüsterte eine innere Stimme.
„Reese?“
Sie zuckte zusammen. Gerade hatte sich ein Film vor ihrem inneren Auge abgespielt, in dem sie Alana und sich als kleine Mädchen an der Hand ihrer Mutter gesehen hatte. Wusste Mom eigentlich schon Bescheid? Wahrscheinlich nicht, sonst wäre sie hier und hätte Alana und Nate nicht eine Sekunde allein gelassen. Es war wohl besser so. Sie hätte moralischen Beistand leisten, doch ansonsten nichts zur Lösung des Problems beitragen können. Und je mehr sie gemeinsam bangten, desto intensiver würden die Schwingungen der Angst werden, die beinahe greifbar im Raum hingen.
„Reese!“ Narsimha legte seinen Arm um ihre Schultern.
Es war eine zärtliche Geste, die nichts Anzügliches an sich hatte und sie war dankbar dafür. Der Gedanke an ihre Nähe von vor wenigen Minuten presste noch immer ihr Innerstes zu einem Klumpen zusammen.
„Wade und ich machen uns jetzt auf den Weg.“
Sie lehnte für einen wohltuenden Augenblick die Stirn an seine Schulter und sandte ein Stoßgebet zum Himmel. Wer immer das Schicksal der Menschen lenkte, sollte ein Einsehen zeigen und Wades Riecher auf die richtige Spur führen. Sie beobachtete, wie Alana ihm ein T-Shirt von Natana reichte und er tief die Nase im Stoff versenkte. Es schien ihr viel zu schnell, dass er es an ihre Schwester zurückreichte.
„Ich gebe mein Bestes“, versprach er und drückte mit beiden Händen Alanas Finger.
Narsimha öffnete die Tür des Konferenzraumes, den ihnen die Hotelleitung zur Verfügung gestellt hatte. Im gleichen Moment kamen McGee und Vega herein, während sich Simba und Wade auf den Weg machten. Sie würden mit Wades Hayabusa fahren, die Max aus dem Fitnesscenter hatte holen lassen. Völlig ohne Protest von Wade, obwohl Simba ihr erzählt hatte, dass im Normalfall niemand auch nur das Bike anpusten durfte. Jetzt hatte es sogar ein Wildfremder gefahren.
Die Gedanken krampften ihr noch mehr den Magen zusammen und ließen sie den bitteren Ernst als Galle im Rachen schmecken.
„Die Medien blenden regelmäßig Sonderinformationen ein. Das Fahndungsfoto aufgrund der Phantomzeichnung wird landesweit ausgestrahlt. Die L. A. Times druckt ein Extrablatt, das in spätestens zwei Stunden in Umlauf geht.“ McGee zog sich einen Stuhl heran. Er blickte auf seine Armbanduhr. „Es ist kurz nach sieben. In wenigen Minuten trifft Verstärkung ein. Wir verlegen unsere mobile Einsatzzentrale ins Hotel.“ Er wandte sich Alana zu. „Sind Sie immer noch sicher, dass ich keinen Psychologen kommen lassen soll?“
Alana wechselte einen Blick mit Nate und schüttelte stumm den Kopf.
So kannte sie ihre Schwester. Eisern und verbissen mit sich allein kämpfend. Reese zweifelte, ob Alanas Entscheidung richtig war.
Es klopfte. Drei weitere Männer und eine Frau betraten den Raum. Sie trugen Kisten mit sich und begannen sogleich mit dem Auspacken. Telefone und Computer wurden auf dem Tisch aufgestellt, die Wandtafel mit Bildern gespickt. Es tat weh, Natanas Gesicht zu sehen. Der Anblick von John Smith fachte Reeses Wut zu einer lodernden Feuersbrunst an. Jeder Vorwurf, den sie sich machte, fühlte sich an wie ein Messerstich ins Herz. Sie hätte ihn sterben lassen können.
Verdammt! Sie hätte es tun können und doch durfte sie solche Gedanken nicht hegen. Sie tobten in ihrem Kopf, ließen sich nicht eindämmen und sorgten dafür, dass ihr Magen rebellierte. Sie kam sich schlecht vor. Mies. Sie hätte das alles verhindern können, sie hätte …
„Du kannst nichts dafür“, hörte sie plötzlich die Stimme ihrer Schwester nah am Ohr. „Mach dir keine Vorwürfe.“
Dankbar drückte Reese Alanas Hand. Sie spürte sofort die Verbundenheit durch ihren Körper fließen und ein Gefühl der Zärtlichkeit breitete sich aus. Völlig unerwartet entlud sich Reeses Wut in einem rauen Krächzen, und die Worte schossen nur
Weitere Kostenlose Bücher