Verhängnisvoll - Felsing, K: Verhängnisvoll
bekommen. Wie lange hielt ein Mensch das aus?
Nat musste sich dringend verständlich machen! Der Durst ließ auch ihre Zunge bereits am Gaumen kleben. Ob er ihr das Tapeband vom Mund entfernen würde, wenn sie vorspielte, zu hyperventilieren? Oder riskierte sie, dass sie tatsächlich keine Luft mehr bekam und er würde sie gnadenlos ersticken lassen?
Ihr grauste bei der Vorstellung seines Blickes, bei dem sie gedacht hatte, zu erfrieren. Er würde es eiskalt tun. Ihn interessierten seine Opfer nicht. Das Mädchen würde sterben. Sie hatte immer nur kurz das Bewusstsein wiedererlangt und dämmerte seit Stunden vor sich hin, ohne richtig aufzuwachen.
Vorsichtig versuchte Nat, ihren Oberkörper zu drehen. Ihre Arme waren mit Klebeband fixiert, sie konnte nicht einmal die Hände heben. Sie gab schnaufende Geräusche durch die Nase ab. Er musste doch merken, dass sie ihn auf sich aufmerksam machen wollte. Als sie schon glaubte, er würde sie weiterhin ignorieren, ließ der Druck des Messers nach, ohne dass er es wegnahm. Er gab ihr einen Stoß in den Rücken.
„Hör auf, rumzuhampeln. Was willst du?“
Die einzige Bewegung, die sie vollbringen konnte, war ein Nicken in Richtung der Wasserflasche auf dem Wohnzimmertisch. Sie stand viel zu weit entfernt. Außerdem würde er sich wahrscheinlich schwertun, zu begreifen, was sie wollte, lagen dort doch auch die Gasflasche auf der Seite, sein Rucksack und anderes Zeug daneben. Mit geschlossenem Mund ein Wort auszusprechen, ergab nur einen dumpfen Ton, doch zumindest hörte er sich zweisilbig an.
Was-ser! Was-ser!
Sie nickte immer heftiger.
„Hör auf!“ Wieder stieß er ihr grob in den Rücken.
„Du!“ Er trat nach Sybil, die sich auf dem Boden zusammengerollt hatte und wie ein schutzloser Welpe winselte.
Nat traten Tränen in die Augen. Das hatte sie nicht gewollt. Sie schluckte.
„Steh auf und hol die Wasserflasche!“
Er wickelte Nat das Seilende um den Hals, das bis zu Sybils Fußknöchel reichte und von dort zu dem Mädchen. Von hinten grub er seine Finger zwischen den Strick und Nats Haut und presste ihr eine Faust ins Genick. Sie brüllte dumpf, bis er lockerer ließ.
„Halt still!“ Er bog ihren Kopf zur Seite und griff mit der Rechten an ihr vorbei, ratschte mit dem Messer über das Klebeband zwischen ihren Handgelenken. Es scherte ihn einen Dreck, dass er ihr dabei in den Daumen schnitt.
Diesmal schaffte sie es nicht, die Tränen zurückzuhalten. Das Blut strömte mit scharfem Schmerz zurück in ihre eingeschlafenen Finger.
Schmerzen waren gut! Schmerzen zeigten, dass sie noch lebte!
Ihre Oberarme konnte sie dennoch nicht bewegen. Sie musste den Kopf senken, um mit den Händen an das Klebeband auf dem Mund heranzukommen. Sie riss es mit einem Ruck ab.
Die Messerspitze bohrte sich in ihren Rücken.
„Vorsichtig!“
Nat ballte die Fäuste und hoffte, die Männer draußen würden ihm eine Kugel in den Schädel jagen.
Sybil kroch mit der Wasserflasche heran. Nat fasste all ihren Mut zusammen.
„Darf ich Sybil das Klebeband vom Mund ziehen?“
„Das soll
Es
dir selbst beantworten. Wenn
Es
schreit, tut es das nicht lange.“
Sie hat einen Namen, verdammt noch mal!
, wollte Nat rufen, doch instinktiv wusste sie, dass es besser war, wenn sie den Mund hielt. Eine Unterhaltung mit ihm hatte sich bereits vor Stunden als aussichtlos erwiesen.
Mit der unverletzten Linken befreite sie Sybil von dem Klebeband und schraubte die Flasche auf. „Trink einen Schluck.“
Sybil schüttelte matt den Kopf.
„Komm schon!“
Das brauchte sie nicht zu allem Überfluss. Am liebsten hätte sie Sybil geschüttelt, sie angebrüllt, sich nicht willenlos wie ein dummes Lamm zu benehmen und gefälligst Mut zu fassen. Lebensmut für sich und ihre Kinder. Der Zorn, der angesichts der apathischen Verfassung wuchs, ließ Energie durch ihren Körper pulsieren.
Es war noch nicht allzu lang her, dass sie beinahe in die gleiche Starre verfallen wäre wie Sybil. Sie war ganz dicht dran gewesen und wusste genau, was in der jungen Frau vor sich ging. Aber immerhin hatte Nat es geschafft, daraus hervorzukommen und was sie konnte, schafften andere auch. Also los!
„Trink!“, befahl sie schneidend.
Sie war längst nicht am Verdursten, sodass die Gier sie übermannen konnte und sie selbst den ersten Schluck nehmen ließ, oder so voller Verzweiflung, dass sie gleich die Flasche leeren würde, wahrscheinlich dreiviertel des Inhalts vergießen und darüber vergessen, dass
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