Verhängnisvoll - Felsing, K: Verhängnisvoll
nicht in dem Hotelzimmer auf. Sie wankte ins Bad und blieb schwankend vor dem Waschtisch stehen. Nur mühsam wollte sich die Erinnerung klären. Nachdem sie sich einige Hände voll Wasser ins Gesicht geschaufelt hatte, bekam sie zumindest die Eckpunkte wieder zusammen und erinnerte sich, dass sie den Konferenzraum verlassen hatte, weil sie das Gefühl hatte, zu ersticken. Danach folgte nur Schwärze und ihr war klar, was das bedeutete. Sie musste zusammengebrochen sein.
Sie ging zurück und schob die schweren Vorhänge vor dem bodentiefen Balkonfenster zur Seite. Es war dunkel. Sie konnte nicht die ganze Nacht geschlafen haben. Hastig blickte sie auf die Leuchtziffern am Fernseher. Es war kurz nach Mitternacht.
„Alana.“ Sie strich ihrer Schwester zärtlich über das Haar und wartete, bis sich die Schlafende regte. „Komm, Liebes, steh auf.“
Alana wirkte nicht weniger benommen. Das mussten Nachwirkungen eines Beruhigungsmittels sein, das man ihnen garantiert verabreicht hatte. Nach einem Moment der Orientierung schnellte Alana auf.
„Gibt es Neuigkeiten?“ Ihre Augen wirkten riesig und verloren in dem blassen Gesicht.
„Ich weiß es noch nicht.“
Sie benötigten keine fünf Minuten, um sich zu waschen und anzuziehen. Gemeinsam eilten sie den Flur entlang zu den Aufzügen und hasteten weiter zum Konferenzraum.
Ohne anzuklopfen traten sie ein. Nate und Detective McGee kamen auf sie zu.
„Hallo Schatz“, sagte Nate und legte einen Arm um Alana. Er nickte Reese zu und strich ihr über die Schulter. „Geht es euch besser?“
Sie nickte. „Wie ist der Stand?“ Ihr Gesicht kribbelte vor Anspannung.
„Hallo, die Damen.“ McGee wies mit einer auffordernden Geste zu dem gedeckten Tisch gegenüber dem langen Besprechungstisch, auf dem eine Kaffeekanne stand und ein Teller mit belegten Broten.
Trotz aller erwachten Panikgefühle registrierte Reese den verführerischen Duft. Ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen.
„Mr. Diaz und ich sind vor einer halben Stunde zurückgekehrt, das Team ist weiterhin vor Ort. Mr. Mishra leitet den Einsatz. Vom Zustand der drei Mädchen wissen wir nicht viel, aber sie leben zumindest.“
„Drei Mädchen?“ Ihr Herz rutschte in die Kniekehlen. Wieso drei? Natana und vermutlich eine 14-Jährige namens Penelope Pepper, das war ihre letzte Information, oder hatte sie irgendetwas verpasst? Ganz sicher nicht, die Information war neu.
„Wade hat in der Blockhütte insgesamt vier Personen lokalisiert“, sagte Max.
„Und es handelt sich tatsächlich um ein weiteres Opfer oder ist der Täter … hat der Killer Verstärkung?“
„Es ist leider – oder auch nicht, je nachdem, wie man es sieht – ein weiteres Opfer.“
„Woher …?“
„Wade kann es an den Pheromonen unterscheiden und an den typischen Ausdünstungen von Gefühlen, zum Beispiel Angst.“ Max schob einen gefüllten Kaffeebecher zu Alana und reichte Reese einen weiteren. Dankbar nahm sie ihn entgegen und trank.
„Steht fest, wer sie ist?“
„Wir wissen dank Wade, dass es sich um eine junge Frau handelt, mehr ist uns leider nicht bekannt“, sagte Max.
„Gott!“ Alana stöhnte und ihre Augen schwammen schon wieder in Tränen. Nate stand hinter ihr und schlang die Arme fester um sie.
Reese schluckte. Fast hätte sie Neid empfunden, so sehr sehnte sie sich ebenfalls nach kräftigen Armen, die ihr Halt geben würden. Doch Neid bedeutete, dass man jemandem etwas nicht gönnte, das man selbst gern hätte und das konnte sie nun wirklich nicht von sich behaupten. Es war gut, dass wenigstens eine von ihnen eine Schulter zum Anlehnen hatte.
„Bringen Sie uns bitte auch mit allem Weiteren auf den aktuellen Stand.“ Sie musterte den Detective und würgte die Worte beinahe hervor, weil sie sich mies vorkam und seit der GPS-Nachricht von Simba und Wade nichts mehr mitbekommen hatte. Sich in ein Blackout zu flüchten war schwach – ob sie nun etwas dafür konnte oder nicht.
„Der Täter ist ein 32-jähriger Sozialarbeiter. Ben Ogan aus Vista. Er arbeitet für die Fürsorge in San Diego.“
Reese fiel die Kinnlade hinunter. Ein Sozialarbeiter? „Fucking hell!“ Der Fluch ließ sich nicht zurückhalten, ebensowenig wie eine Flut von Fragen. Unverständnis, dass ein Mensch, dessen Aufgabe es war, anderen zu helfen, derart krank sein konnte. Musste so etwas in seinem psychologischen Profil bei der Behörde nicht auffallen? Oder existierten derartige Unterlagen nicht? Verdammt, sie wusste es nicht.
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