Verhängnisvoll - Felsing, K: Verhängnisvoll
dann, ganz leise.
„Mommy?“
Er weiß, sie hört ihn nicht. Das Elternschlafzimmer liegt auf der anderen Seite des Bungalows und außerdem schläft sie immer mit diesen Ohrstöpseln. Weil Dad schnarcht.
Ben überlegt, ob er zu Tami gehen soll. Sie hat das kleinste Zimmer, aber sie ist auch die Jüngste. Tami ist erst sieben. Erst seit diesem Jahr geht sie mit ihm zur Schule, im letzten wollte man sie noch nicht nehmen, weil sie so zart war und noch einen Sprachfehler hatte. Tami mag ihn. Sie gehen oft zusammen raus und rennen in den Wald. Sie hat keine Freundin – so wie sich Ben nicht mit anderen Jungs trifft. Tami und er sind ein Team. Sie bauen gern kleine Dämme in dem Bach, der hinter ihrem Haus entlangfließt. Auf einer Lichtung haben sie eine Mulde entdeckt. Ein umgestürzter Baumstamm liegt wie eine Brücke darüber und auf dem moosigen Grund lässt sich wunderbar liegen. Sie halten sich bei den Händen und er bringt ihr richtiges Sprechen bei. Die Kinder in der Schule sollen sie nicht hänseln. Sie soll auch eine Nutte sein.
„Du weißt, was zwischen uns beiden passieren wird, nicht wahr?“
Reese zuckte zusammen und wirbelte herum. Hinter einem Lieferwagen trat Narsimha hervor. Ihr fiel der Schlüsselbund aus der Hand, und ehe sie sich bücken konnte, stand Simba neben ihr und hielt ihn ihr entgegen. Heiliger!
„Tu das nie wieder, ja?“
„Was?“
Jetzt schaute er auch noch so scheinheilig, als könnte ihn kein Wässerchen trüben.
„Mich so zu erschrecken.“ Sie keuchte leise. „Der Vormittag war anstrengend genug.“
„Es tut mir leid.“ Es streckte einen Arm aus und schob ihr eine Haarsträhne hinter das rechte Ohr. „Ich musste dich sehen.“
Ein warmes Gefühl rieselte durch ihr Inneres und durchlöcherte die Sorgen und Gedanken, die sich in ihr stauten. Nicht nur heute. Das gesamte Wochenende hindurch hatten sich die Zweifel immer tiefer in ihr Gewissen gefressen und sie nicht zur Ruhe kommen lassen. Gott! Einerseits glaubte sie, nichts Schlimmes getan zu haben. Es war nur ein harmloser Bluttest. Andererseits gab es keine offiziellen Behandlungsunterlagen, und wenn sie eine Gruppe von Terroristen oder sonstige Kriminelle unterstützte, würde sie sich das nie verzeihen. Ganz abgesehen von den Folgen, die ihre Karriere zu erleiden hätte.
„Hörst du? Ich musste dich sehen.“
„Ja“, erwiderte sie nur mit belegter Stimme. Sie wusste, wohin ihr Weg unweigerlich führen würde, wenn sie keinen Riegel vorschob. Früher oder später würde er in ihren Wagen steigen und sie nach Hause begleiten. Bereits im Aufzug würden die ersten Kleidungsstücke fallen. Bis ins Bett schafften sie es garantiert nicht. Hitze flutete ihren Unterleib. Wollte sie das? Einen One-Night-Stand, nur um das Begehren, die Funken, die unbestreitbar zwischen ihnen knisterten, zur Explosion zu bringen?
Ja!, schrie eine Stimme in ihren Gedanken. „Nein!“, hörte sie sich sagen.
Narsimha trat einen Schritt weiter auf sie zu. „Lass es uns langsam angehen“, sagte er mit einer Stimme wie Samt. Nur eine winzige Bewegung, ein Atemhauch, und sie läge an seiner breiten Brust, würde das Galoppieren seines Herzens spüren und wie es sich mit ihrem vereinte. „Darf ich dich zum Mittagessen einladen?“
Endlich brachte er einen Höflichkeitsabstand zwischen sie. Reese atmete tief durch. Der Blick aus seinen Cappuccino-Augen lag wie eine Liebkosung auf ihrem Gesicht. Wie könnte sie ablehnen?
Sie drückte die Fernbedienung an dem Wagenschlüssel und das Geräusch der sich öffnenden Zentralverriegelung durchbrach den Zauber. Sie wies mit einer knappen Geste auf die Beifahrertür und beeilte sich, um den Wagen zu gehen und einzusteigen. Kaum saß er neben ihr, fühlte sie sich wie in ein zu enges Korsett gequetscht. Das Atmen fiel schwer, der Blutdruck schien zu steigen.
Reese fuhr nur um den nächsten Häuserblock zu einem beliebten Diner. Auf dem Parkplatz merkte sie, wie weich ihre Knie waren. Narsimha stieg aus und öffnete ihr die Fahrertür. Beim Aussteigen hielt er ihr den Arm hin und die Berührung kribbelte bis in die Zehenspitzen. Sie schwebte an seiner Seite in das Restaurant. Sämtliche Zweifel verflüchtigten sich während der wenigen Schritte. Seine Gegenwart fühlte sich richtig an. Dieser Mann – und sonst keiner – würde ihr Herz im Sturm erobern. Hatte es wohl längst getan.
Sie bestellten Fish & Chips, und als ihre Pepsi kam, trank Reese in einem Zug fast das ganze Glas leer. Ihre
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