Verhängnisvoll - Felsing, K: Verhängnisvoll
gerettet!
Diesen Vorwurf kommentierte sofort eine andere Stimme in ihrem Kopf als haltlos. Ihr Gelöbnis verbot es, Unterschiede zu machen.
Die Gesundheit meines Patienten soll oberstes Gebot meines Handelns sein
. Reese hantierte an dem Kaffeeautomaten und war froh, dass die Detectives ihre Klappen hielten.
Ich werde mich in meinen ärztlichen Pflichten meinem Patienten gegenüber nicht beeinflussen lassen durch Alter, Krankheit oder Behinderung, Konfession, ethnische Herkunft, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, politische Zugehörigkeit, Rasse, sexuelle Orientierung oder soziale Stellung
. Verdammt! Die hatten vergessen, Killer, Menschenschänder und Psychopathen hinzuzufügen.
Psychopathen sind krank
, kommentierte ihre Kopfstimme.
Ja, und wie
, konterte Reese.
„Dürfen wir uns ebenfalls bedienen?“, fragte Detective McGee, als sich Reese mit einem Becher in den Händen zu den Männern umdrehte.
Sie nickte. „Er trägt stets eine Wollmütze. Grau oder schwarz. Meist reicht sie ihm bis über die Ohrläppchen.“
„Sie hat sich mehrfach mit dem Täter getroffen?“
„Drei Mal, sagt sie. Die ersten beiden Male wollte sie noch nicht mit ihm fahren, obwohl er sie eingeladen hat. Sie waren bei Starbucks und im Kino.“
„Hat er ihr einen Namen genannt?“
„Sie kennt ihn nur unter seinem Nicknamen. Im Chat nannte er sich Crotalus.“ Reese stellte abrupt den Becher auf dem Tisch ab. Heißer Kaffee schwappte über ihre Finger. „Oh Gott!“ Sie musste sich setzen.
„Dr. Little?“
„Crotalus ist Latein und heißt Klapperschlange.“ Natana hatte mit ihm gechattet. Natürlich konnte der Name Zufall sein, doch ihr Gefühl beharrte auf der Vermutung.
„Gibt es weitere Hinweise von Maggie?“
„Nein.“
„Wären Sie bereit, uns zum Revier zu begleiten, um die Aussage zu protokollieren?“
„Ich habe um 15:30 Uhr Feierabend.“ Viel länger als bis dahin würde sie es kaum schaffen, die Augen offen zu halten. In der Kitteltasche fischte Reese nach dem Röhrchen mit ihren Koffeintabletten und schluckte eine. Ihre Finger brannten und es tat höllisch weh, als sie die heiße Kaffeetasse erneut umfasste.
„Wir dachten eher an sofort“, sagte Detective McGee. „Diese Aussage ist entscheidend für die Fahndung.“
Reese stand auf und hielt ihre Hand am Spülbecken unter kaltes Wasser. Das hätte sie sofort tun sollen, unter der geröteten Haut erkannte sie bereits eine erste Blase.
„Also gut. Begleiten Sie mich hinaus und warten Sie im Foyer auf mich. Ich muss mit Dr. Mills reden und mich bei der Klinikleitung abmelden.“
„Gut.“ McGee spülte seinen Kaffeebecher aus.
Reese wartete an der Tür, bis die Männer den Aufenthaltsraum verlassen hatten, und schloss ab. Sie nickte ihnen zu und machte sich auf die Suche nach Dr. Mills. Ihn zu finden war nicht schwierig – ein Rollwagen mit Patientenakten stand vor der Tür des Krankenzimmers, in dem sich das Team zur Visite befand.
Die Absprache ging flott und ihr Kollege unterstrich die Wichtigkeit, zur Fahndung von John Smith beizutragen. Gott sei Dank war sie heute nicht für Operationen eingeplant, daher würde es auch keine Schwierigkeiten geben, bei der Klinikleitung um Freistellung zu bitten. Hätte sie heute ein Skalpell führen sollen, hätte sie gestern früher Feierabend machen müssen und sich auch nicht mehr in der Nacht mit Narsimha getroffen.
Sie wünschte sich ihn an ihre Seite. Einfach nur so, um ihr Halt zu geben. Allein der Gedanke, wie nah der Chatroom-Killer möglicherweise Natana gewesen war, erschütterte sie. Erst recht, weil Nat und sie eine besondere Bindung verband – fast, als hätte Nat zwei Mütter, so oft hatte Reese Alana unterstützt, während sie beide sich durch ihre Studiengänge hangelten.
Als Reese das Büro des Klinikleiters verließ und den Flur entlanghastete, kamen ihr zwei Männer entgegen und sprachen sie an.
„Dr. Reese?“
Sie blieb stehen. „Ja.“ Zivilbeamte?
„Mr. Mishra hat uns gebeten, Sie abzuholen und Sie zu bitten, umgehend zu ihm zu kommen.“ Die Stimme des Mannes klang ruhig.
„Wer sind Sie?“
„Freunde.“
Beinahe hätte Reese nach Luft geschnappt, doch sie schaffte es, sich nichts anmerken zu lassen. Auf keinen Fall würde sie einfach mit diesen Kerlen mitgehen. Sie musste so tun, als ob – bis sie in der Halle bei McGee und Vega ankommen würden.
„Ist Simba etwas passiert?“ Atemlosigkeit lag in ihrer Stimme, die nicht verriet, dass ihre Gedanken um etwas ganz anderes
Weitere Kostenlose Bücher