Verhängnisvoll - Felsing, K: Verhängnisvoll
Vernehmungsfähigkeit erkundigen, sondern wahrscheinlich gleich zu ihr ans Krankenbett vordringen. Das kam überhaupt nicht infrage. Sie war zwar nicht die verantwortliche Ärztin, aber prinzipiell wurde es nicht gestattet, Patienten auf der Intensivstation einer Befragung durch die Polizei auszusetzen.
„Nicht an Sie. Das wissen Sie ganz genau, Doktor.“
„Maggie Garner ist nicht vernehmungsfähig.“ Reese versuchte, ihre Wut zu bremsen. „Gott, was erwarten Sie? Das Mädchen ist erst gestern früh aus dem Kunstschlaf aufgeweckt worden.“
„Wir wollen uns nur nach ihrem Befinden erkundigen. Wie geht es ihr?“
„Den Umständen entsprechend.“
„Schwebt sie noch in Lebensgefahr?“
„Ich werde Ihnen keine weiteren Auskünfte über Ms. Garner geben, wenden Sie sich bitte an den behandelnden Arzt.“
„Wir werden eine richterliche Verfügung einholen, um sie zu vernehmen. Dann sehen wir uns heute Nachmittag wieder. Warum wollen Sie es uns allen nicht etwas einfacher machen?“
Arschloch! Am liebsten hätte Reese ihm die Beschimpfung entgegengespien.
„Sie waren doch auf dem Weg zu Maggie, oder?“
„Das geht Sie nicht das Geringste an.“
„Dr. Little.“ Detectice McGee legte ihr kollegial eine Hand auf die Schulter, doch Reese wand sich und schüttelte sie ab. „Warum machen Sie es uns so schwer? Wir erledigen doch nur unseren Job und Sie wissen, was davon abhängt.“
Ja, von meinem auch, wollte sie sagen, aber im Grunde wusste sie, wie wichtig es war, Informationen von Maggie zu bekommen. Das bedeutete aber noch lange nicht, dass das Mädchen überhaupt schon in der Lage dazu sein würde. Außerdem ging es Reese mächtig gegen den Strich, dass McGee und Vega einfach vor der Intensivstation auftauchten, anstatt sich vorher mit Maggies Arzt in Verbindung zu setzen. Wäre das geschehen, hätten sie Reese auf eine Genehmigung verwiesen. Noch etwas stieß ihr sauer auf. Wozu hatten die bei der Polizei eigentlich Psychologen? Kümmerten die sich nur darum, die zerknitterten Seelen der Ordnungshüter glattzubügeln? Zumindest hätte man eine Polizistin zu Maggie schicken können. Das Mädchen würde ohnehin psychologische Unterstützung benötigen und vielleicht zu Gesprächen bereit sein, aber darauf wollten McGee und Vega nicht warten. Sie wollten mit der Brechstange dran.
„Warten Sie hier“, sagte Reese und musste ein Gähnen unterdrücken. „Ich besuche Maggie, und falls sie etwas sagt, informiere ich Sie.“
Sie öffnete mit ihrer Zugangskarte die Schleuse zur Intensivstation und ließ die Detectives einfach stehen. Sollten sie ihr doch die Unfreundlichkeit krummnehmen, das Wohl ihrer Patienten stand über jeglicher Form von Höflichkeit.
An Maggies Bett zog sich Reese einen Hocker heran und setzte sich. Maggie bewegte die Lippen, ohne dass sie einen Laut hervorbrachte. In ihren Augen standen schon wieder Tränen. Reese ergriff die Hand des Mädchens.
„Pst, Maggie. Sparen Sie Ihre Kräfte.“
Eine Weile herrschte Schweigen.
„Mommy sagte, Sie hätten mich operiert, Dr. Little.“
„Ja.“
„Danke.“
„Schmerzt Ihr Bein?“
„Nein.“
„Wenn die Wunden verheilt sind, wird man kaum noch Narben sehen.“
Maggie nickte und plötzlich klammerte sie ihre Finger um Reeses Hand. „Die Polizei hat noch keine Spur von ihm, nicht wahr?“
„Sie fahnden nach ihm.“
„Ich habe geträumt, er stände vor mir und …“
„Er kann Ihnen nichts mehr tun, Maggie. Niemand Fremdes kommt hier rein.“
„Ich weiß.“
„Möchten Sie mit jemandem reden? Mit unserer Psychologin?“
Maggie antwortete nicht.
„Lassen Sie sich Zeit. Niemand drängt Sie.“
„Ich will, dass er geschnappt wird.“
Diesmal war es Reese, die nichts erwiderte. Sie streichelte Maggies Hand.
„Er hat Tattoos an den Ohrläppchen.“
Reese musste aufsteigende Übelkeit unterdrücken.
„Wenn man vor ihm steht, eine gespaltene Zunge rechts und den Schwanz links.“
„Kannst du ihn sonst noch näher beschreiben?“
Maggie nickte.
„Bitte begleiten Sie mich ins Ärztezimmer“, forderte Reese die wartenden Detectives auf. Sie ging schnellen Schrittes voran. Auf ihrer Station bat sie Dr. Mills, die Visite ohne sie zu beginnen.
„Maggie hat Tattoos an den Ohrläppchen ihres Entführers bemerkt. Die Beschreibung passt auf die von John Smith.“ Reese brauchte erst mal einen Kaffee. Schwarz, heiß und stark. Wellen eisiger Gänsehaut ließen sie zittern. Sie hatte einem Mörder das Leben
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