Verhängnisvolle Wiedersehen (The Immaculate Breed) (German Edition)
schrak sie hoch. Entsetzt von den wirren Bildern des Albtraums, in den sich wiederholt eine Vision geschlichen hatte, die eigentlich nicht für sie bestimmt war. Die anderen Bilder dagegen schon. Die Vergangenheit suchte sie heim, egal wie lange sie schon vergangen war. Kein Kraut war dagegen gewachsen. Sie hatte alle ausprobiert.
Den kalten Angstschweiß fortwischend, schlüpfte sie nackt aus den knisternd frischen Laken, um in der Dunkelheit zu einem der hohen Fenster ihrer Kammer zu gehen. Ihre Handgelenke schmerzten. Aus Gewohnheit rieb sie an einem, bis es durch die Reibung noch mehr wehtat. So ließ wenigstens das Brennen der Stricke nach, die sie selbst nach Jahrhunderten noch auf ihrer zarten Porzellanhaut zu fühlen glaubte. Die Rollladen ließen sich mittlerweile automatisch öffnen. Es musste nur noch ein Knopf neben der Fensterbank gedrückt werden. Mit einem surrenden Geräusch öffnete sich der eiserne Vorhang und ließ sie in den neuen Tag sehen. Blinzelnd. Geblendet.
Nur langsam gewöhnten sich ihre graugrünen Augen an die Farben, die sich ihr im neuen Licht des Tages präsentierten. Trotz des nahenden Herbstes erblühte der gigantische Garten immer noch in all seiner herrlichen Pracht. Magisch. Ein Trost, dass er viel schöner war als die vielen königlichen Parkanlagen, die sie in ihrer Jugend gesehen hatte. Da schnürte einem dieser Anblick nicht so die Kehle zu.
„Alles in Ordnung?- Ich habe Euch schreien gehört.“
Die isländische Walküre trug ein wallendes, weißes Nachthemd. Zusammen mit den zwei Zöpfen, zu denen sie ihre langen blonden Haare geflochten hatte, sah sie aus, als wäre sie nicht dem Nebenzimmer sondern dem Mittelalter entsprungen. Dick und rund. Die stahlharten Muskeln unter weit fließendem, schwingendem Volant bis zur Unkenntlichkeit unterhalb der wogenden Brüste verborgen.
„Und zieht Euch etwas über. Ihr werdet Euch zwar nicht den Tod holen, aber...“
Eine weiche Decke wurde ihr über die Schultern gelegt, an deren Enden sie sich mit einem amüsierten Lächeln auf den Lippen klammerte. Es nicht zeigend, aber durchaus dankbar für die Zuwendung und des Wohlwollens, das in dieser Geste lag.
„Wieder einer Eurer Albträume?“
Sie spürte die riesige Pranke, mit der ihre Leibwächterin sonst Knochen brach und Waffen schwang, behutsam über ihren Hinterkopf und dann die Wirbel ihres Rückens entlang strich. Die braunen Haare waren wieder länger geworden. Der Kurzhaarschnitt beinahe herausgewachsen. Vielleicht sollte sie später jemanden bitten, nachzuschneiden. Sie wollte nicht wie ein Mädchen aussehen. Nicht an Vollmond und eigentlich nie wieder.
„Ich sollte mich anziehen. –Ich möchte nicht zu spät kommen.“ Statt der Walküre eine Antwort zu geben, wandte sie sich vom Fenster ab dem Stapel Kleider zu, die achtlos auf der samtbezogenen Sitzfläche eines hübschen Stuhls zusammengeworfen waren. Obenauf lagen zerknüllte, weiße Bandagen. Sie hätte heute Morgen nach ihrer Ankunft daran denken sollen, sie wieder aufzuwickeln.
„Ich helfe Euch, Sophora.“ Eilfertig griff ihre Wächterin nach den Binden, setzte sich auf das noch warme Bett und begann mit der Geschicklichkeit einer erfahrenen Helferin oder Kriegerin, die ihre Wunden auf dem Schlachtfeld immer selbst versorgt hatte, den schmalen Stoff aufzurollen, bis er sich wieder zu seinem eigentlichen Zweck verarbeiten ließ.
„Es macht Euch nichts aus, hier zu sein?- Ich finde, Astyanax hat Euch mit dieser Aufgabe degradiert, Hellga.“
Die Decke, in der die eigentliche Hüterin des Nibelungenschatzes ihre Sophora gewickelt hatte, glitt erneut zu Boden und ergoss sich dort wie ein Teich aus dunklem Pech über die nackten Holzbohlen. Wieder nackt und bloß, noch einmal aus dem Fenster in den Garten blickend, als wäre es das letzte Mal, dass sie so eine Pracht zu sehen bekam, verharrte die höher stehende aber viel kleinere Visionärin in beinahe wehmütig und verletzlich anmutender Position.
Ein Eindruck, der täuschte. Auch sie hatte viele Knochen gebrochen, getötet und versucht, die Welt ein bisschen besser zu machen. Nicht zur Kriegerin aber zur Seherin bestimmt. Etwas, das sie in anderen Zeiten beinahe das Leben gekostet hatte.
„Och!“ Hellga zuckte gelassen mit den breiten Schultern. Der weiße Stoff ihres Nachtkleides spannte sich gefährlich bei dieser Bewegung, hielt ihrer Kraft aber stand.
„Euch einen Wolf an die Seite zu stellen, wenn Vollmond ist, ist für Euch viel zu gefährlich.
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