Verhängnisvolles Gold
seinen Augen schwimmen keine Tränen mehr, sondern sie glitzern stattdessen vor Zorn und Schmerz. »Selbst wenn sie sich bemüht, bringt sie nur Tod. Sie sagte, ein guter König hätte gewusst, wer der Mörder ist, ein guter König nehme sich einfach, was er brauche. Warum hilft sie mir nie?«, ruft er zornerfüllt, während draußen Blitze zucken. Die Äste der Bäume schwanken und schaukeln hin und her und kämpfen darum, nicht abgerissen zu werden, während Astley wüste Beschimpfungen gegen seine Mutter ausstößt. Das Haus selbst schwankt jedoch nicht, es ist solide gebaut. Ich zwinge mich dazu, wie das Haus zu sein, während Astley weiter die Fäuste schüttelnd auf und ab geht.
»Astley …«, versuche ich seine Tiraden zu unterbrechen. »Sie hat mir zwar nichts gesagt, aber …«
Er geht an mir vorbei. »Ich wusste, dass sie das tun würde! Sie hilft mir nie! Sie würde nie etwas tun, das nicht egoistisch ist, das ihr keinen Vorteil verschafft. Ich habe dich enttäuscht. Ich habe versagt. Es tut mir so leid. Ich werde persönlich zum hohen Rat gehen. Ich werde …«
»Astley…«
Er geht wieder an mir vorbei, ohne mir Beachtung zu schenken. Als er wieder an mir vorbeigehen will, ziehe ich das Buch aus der Tasche und wedle ihm damit vor der Nase herum.
Er bleibt stehen.
»Sie hat mir zwar nichts gesagt«, sage ich lächelnd, »aber sie hat mir das hier gegeben.«
HatesME: Mann, hier herrscht Chaos. Ich sollte echt abhauen.
Happyfeet: Dann hau schon ab.
HatesME: Sollte ich wohl. Aber meine Alten lassen mich nicht.
Happyfeet: Überzeug sie.
HatesME: Wir hocken hier wie auf dem Präsentierteller, wie brütende Enten im Nest.
Mohawk: Nein, tun wir nicht. Wir wehren uns.
Hates Me: Gegen was?
Happyfeet: Enten können wegfliegen.
Mohawk: Gegen das Böse.
– BEDFORDAMERICAN.COM CHATROOM
Sobald wir New York verlassen haben und auf der Autobahn nach Connecticut sind, lese ich Astley laut aus dem Buch vor.
Vor der Ausfahrt zu einem Rastplatz bremst Astley ab: »Muss du raus?«
»Nein.«
Er nickt und beschleunigt wieder. »Lies den letzten Teil noch einmal.«
»›Wo eine Schlange aus Wasser, die die Erde durchschneidet, auf den Mund trifft, der sie verschlingt, und zum Magen wird; wo das Land sich zum Flug der Walküren hebt, müssen die heiligen Worte gesprochen werden, das Land der Götter berührt das Land der Menschen, eile und besteige den Regenbogen.‹«
»Genau. Wir müssen Bifröst zu dem Ort bringen, wo ein Fluss in einen See mündet und das Land ansteigt. Dort entzünden wir ein Feuer und sprechen die heiligen Worte, dann wird es dort eine Art Regebogen oder eine Brücke geben. So eine Art Portal.«
»Das klingt abgedroschen«, beklage ich mich.
»Abgedroschen?«
»Phrasenhaft.« Ich drücke mich tiefer in den Sitz und verändere die Position meiner Beine. Eigentlich habe ich die Nase voll vom Fahren, andererseits bin ich aber total aufgeregt wegen des Buchs und der Möglichkeiten, die es uns eröffnet. »Egal. Hauptsache, es funktioniert.«
»Kennst du einen Ort, der die Bedingungen erfüllt?«
»Ja. Unten an der Anlegestelle geht der Union River in die Union River Bay über. Es gibt dort ein Naturschutzgebiet und einen großen Hügel. Ein Adler horstet dort. Nicht Devyn. Ein echter Adler.« Ich denke ein bisschen nach, während wir an einem Saab vorbeifahren und an einem Kombi mit einem Aufkleber, dass hier Kinder auf Tour sind. »Da muss es sein.«
»Lies mir das Kapitel noch einmal vor. Das kommt mir zu einfach vor«, meint er.
Ich lese noch einmal. Und dann noch einmal. Ich lese es, während sich die kahlen Bäume am Straßenrand in Schnee bedeckte Bäume am Straßenrand verwandeln. Ich lese es, während wir nach Norden fahren und während die Sonne aufgeht und Schnee fällt. Es ist halb acht Uhr morgens und ein neuer Tag hat begonnen.
»Das steht alles unter der Annahme, dass in dem Buch wirklich von Bedford die Rede ist. Dass an diesem Ort das Ende der Welt beginnt«, sagt er seufzend und schiebt sich die Haare aus der Stirn.
»Ich glaube, das ist eine ziemlich sichere Annahme.« Ich lache und meine Wunde krampft sich zusammen. »Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht kann es an verschiedenen Orten geschehen. Ich meine, die Wikinger kamen herüber in die Neue Welt, aber die ganze Poetische Edda war vorher schon da … oder vielleicht auch nicht … Keine Ahnung, aber wir sollten es erst einmal mit Bedford versuchen, das liegt am nächsten.«
Ich krümme mich in meinem Sitz
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