Verheißene Erde
Natur von Gott und Mensch nachdachte; tatsächlich war er mitunter wenig mehr als ein Schamane, der zweifelhafte Geister besänftigte, die sonst vielleicht die Stadt zerstört hätten.
Aber obwohl er keine umfassende Theologie wie Christentum oder Islam besaß, mit der er sein Volk hätte trösten können, verstand er es mit bemerkenswerter Geschicklichkeit, ihre Ängste zu bannen, ihre Leidenschaften im Zaum zu halten und ihnen die Selbstsicherheit zu geben, die sie brauchten, um weiterzuarbeiten. Er war ein Priester. Die Stellung Nxumalos war schwerer zu begreifen. Als Abkömmling einer Kleinstgemeinschaft, Kind einer Familie mit äußerst beschränktem Horizont, waren ihm Abenteuer beschieden, die ihn zu immer größeren Zielen lockten. Er war einer jener wunderbaren Realisten, die zu einer provisorischen Zwei eine problematische Drei addieren und dabei zu einer soliden Fünf gelangen können. Er sah Zimbabwe als das, was es war: eine Stadt, die in einer sich rasch verändernden Welt um ihr Leben kämpfte. In seiner Phantasie sah er aber auch die Städte Indiens und Chinas, und er erriet, daß sie ebenfalls kämpften. Es war ihm klar, daß es, wenn es etwas so Herrliches gab wie einen Ozean, es auch keine vernünftige Grenze für die Wunder entlang seiner Küsten geben konnte. Er konnte weder lesen noch schreiben, konnte sich nicht in geschliffenen Sätzen ausdrücken; er wußte nichts von Giotto, der tot war, oder von Botticelli, der noch lebte, aber vom ersten Augenblick an, da er jene gemeißelten Vögel sah, die die Zitadelle schmückten, wußte er, daß sie Kunst waren und nicht irgend etwas Zufälliges vom Marktplatz. Er war ein Pragmatiker.
Jeder dieser drei hätte für sich allein oder aber zusammen mit den anderen lernen können, in jeder damals existierenden Gesellschaft zu arbeiten, hätte ihm nur Zeit und die richtige Ausbildung zur Verfügung gestanden. Der König war sicherlich ebenso fähig wie die Aztekenkönige von Mexiko oder die Inkas von Peru, bestimmt aber wesentlich fähiger als die verwirrten Brüder des Infanten Heinrich, die Portugal so jämmerlich regierten. Wäre der Mhondoro Bischof von Rom gewesen, hätte er es bestimmt verstanden, sich im Vatikan, wie er damals funktionierte, zu schützen, und hätte Nxumalo mit seiner unersättlichen Neugier jemals die Chance gehabt, ein Schiff zu befehligen, wäre es ihm sicherlich geglückt, die zögernden Seefahrer des Infanten Heinrich auszustechen. Man konnte diese drei vielleicht Wilde nennen, aber niemals unzivilisiert.
Doch genau so nannte Heinrich der Seefahrer sie, als er sterbend in seinem einsamen Kloster auf der verlassenen Landspitze Europas lag. Er saß, im Rücken gestützt, in seinem Bett, umgeben von ungezählten Büchern und Dokumenten. Immer noch versuchte er sich einen Trick auszudenken, der seine Kapitäne bei ihrem Versuch, die Südspitze Afrikas zu umschiffen und Orte wie Sofala und Kilwa >zu entdecken und zu zivilisieren< voranbringen würde. Es erforderte einen arroganten Sinn, diese großen Handelsplätze als >unentdeckt< anzusehen, nur weil noch nie ein weißer Christ an der Ostküste Afrikas nach Norden gereist war, während Tausende dunkler Araber bereits seit Jahrtausenden an ihr entlanggefahren waren. Es waren die letzten Wochen des Jahres 1460, als Zimbabwe noch als die Hauptstadt einer weitreichenden, aber locker beherrschten Hegemonie funktionierte, deren königliche Grundstücke durch Seladon-Porzellan aus China geschmückt waren, aber Infant Heinrich konnte zu seinen versammelten Kapitänen sagen: »Es ist unsere höchste Aufgabe, den dunklen Küsten Afrikas die Zivilisation zu bringen.« Er fügte hinzu: »Es ist untragbar, daß die Goldminen von Ophir von schwarzen Wilden besetzt sind, und ihr Gold in die Hände jener fällt, die Mohammed anhängen.« So forderte also Infant Heinrich in den letzten Tagen seines Lebens, während Nxumalo und sein König sich mit ausgefallenen Verwaltungsproblemen herumschlugen, seine Kapitäne mit Nachdruck auf, Afrika zu umschiffen. Zwei Generationen dieser Männer würden noch sterben, bevor jemand zum Kap vordrang, aber Heinrich sah seine Todesstunde in der Überzeugung nahen, daß Ophirs Entdeckung unmittelbar bevorstand. »Meine Bücher versichern mir«, erklärte er seinen Seeleuten, »daß Ophir von jenen Phöniziern erbaut wurde, die später auch Karthago gründeten. Dies geschah noch vor der Zeit Salomos.« Er fand echten Trost in diesem Glauben, und als ein Kapitän
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