Verheißene Erde
zu lassen. Die beiden Söhne Mevrouw van Doorns verfolgten die Neujahrsfeiern mit objektivem Interesse; der strenge Karel hatte die Vorgänge in früheren Jahren beobachtet und wertete sie als unvermeidlichen Stimmungsausbruch von Menschen, die fern der Heimat dazu verurteilt waren, unter Eingeborenen zu leben, welche sie nicht achteten. Er hatte noch keine Frau und auch keine Absicht, schnell eine zu finden. Wann immer eine Dame, die viel getrunken hatte, ihn in eine Ecke ziehen wollte, lächelte er matt und zog sich zurück. In früheren Jahren war der junge Willem gewöhnlich von den pöbelhaften Feierlichkeiten ferngehalten worden, doch da er jetzt sowohl ein erfahrener Gesandter als auch ein Frontkämpfer war, wäre es unpassend gewesen, das noch länger zu tun. Er mischte sich unter die Gäste, lauschte der Musik und beobachtete mit besonderer Aufmerksamkeit die hübschen Sklavenmädchen.
»Es ist Zeit, daß er fortgeht«, räumte seine Mutter ein, als sie sah, wie er einem servierenden Mädchen zu den Küchen folgte, und als das Fest vorüber war und die geliehenen Musiker nach Hause gegangen waren, ließ sie ihre Kutsche mit ihren sechs Begleitern vorfahren und sich durch die Straßen von Batavia zum Hauptquartier der Kompanie bringen. »Ich möchte die zwei Fahrkarten für die >Haerlem< «, sagte sie kurz und erhielt die Dokumente.
Da die drei schnellen Schiffe erst am siebzehnten Januar in See stechen und die Hauptflotte in der Gegend von St. Helena einholen sollten, wo frische Vorräte an Bord genommen würden, hatten die Brüder volle zwei Wochen Zeit, sich zu verabschieden. Der junge Willem verbrachte sie mit Besuchen bei zahlreichen Freunden, doch Karel meldete sich jeden Tag im Büro der Kompanie und befaßte sich mit Einzelheiten der beabsichtigten Verkäufe und Einkäufe dieses Jahres. Er notierte die verschiedenen Flotten, die nach Osten und Norden segeln würden, sowie die Namen der Kapitäne, die sie befehligen würden; zeitweilig, wenn er die komplizierten Operationen studierte, fühlte er sich wie eine Spinne im Zentrum eines Netzes, das die halbe Welt bedeckte. Es gab nun keine Portugiesen mehr in Malakka, die Durchfahrt gehörte den Holländern. Es gab auch keine anderen Europäer in Nagasaki; Japan war jetzt ausschließlich holländisches Territorium. Auf den Gewürzinseln machten zwar englische Schiffe bei ihrem kleinen Lagerhaus Station, sie durften aber nicht länger verweilen, und sogar französische Handelsschiffe mit ihren von der langen Reise zerrissenen Segeln mußten sich den von den Holländern erlassenen Vorschriften fügen. »Wir beherrschen die Meere«, rief er eines Morgens, als sich ihm die volle Macht der Jan Compagnie enthüllte.
»Nein«, warnte ihn ein älterer Mann. »Die Engländer beginnen, Indien zu beherrschen. Und die Portugiesen kontrollieren noch immer Macao und den chinesischen Handel.«
»Überlassen wir ihnen den Tee und den Ingwer«, räumte Karel ein, »solange wir nur die Gewürze behalten.«
Als die beiden Brüder zu den drei Schiffen kamen, konnten sie aus beträchtlicher Entfernung die Gewürze riechen, denn die Laderäume waren vollgestopft mit Säcken und Bündeln, die im letzten Augenblick von den östlichen Inseln gekommen waren. Diese Schiffe brachten das Herz Asiens ins Zentrum Europas, und jedes einzelne stellte einen größeren Reichtum dar, als viele kleine Nationen in einem ganzen Jahr umsetzen würden. Die Jan Compagnie kontrollierte Java, und Java kontrollierte die Meere. Am vierten Tag, nachdem die kleinen Schiffe die Sundastraße passiert hatten, kam ein starker Sturm auf, die Sicht war gleich Null. Drei Tage lang tobten die Unwetter, als sich die Wolken zerstreuten, war die »Haerlem« allein. Der Kapitän ließ Kanonenschüsse abfeuern, und als keine Antwort kam, folgte er der Grundregel der Navigation: Im Fall einer Trennung zum verabredeten Sammelpunkt weiterfahren. Ohne weitere Besorgnis um das Schicksal der »Schiedam« und der »Olifant« nahm er Kurs auf St. Helena, zum Hauptteil der Flotte.
Es würde mehr als zwei Monate dauern, diese Entfernung zurückzulegen, und während die »Haerlem« westwärts segelte, überlegten die Brüder, was ihren Schwesterschiffen zugestoßen sein mochte. »Sie haben gute Kapitäne«, sagte Karel. »Ich kenne sie, und sie kennen die Meere. Sie sind irgendwo dort draußen, denn wenn wir am Leben geblieben sind, sind sie es auch.«
»Werden wir sie wiedersehen?« fragte Willem, der immer zum
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