Verheißenes Land
den Wagen geworfen worden, um das Gewicht zu verringern und es den erschöpften Zugtieren etwas leichter zu machen.
Da fanden sich neben Werkzeugkisten, Pflügen und Eisenteilen aller Art zerschlagenes Porzellan, Bettgestelle, Tonnen, Eimer, Kanonenöfen, Herde, Truhen, Tische, Stühle, Polstersessel, zerborstene Spiegel und schief aus dem Gestrüpp herausragende Kommoden, Sekretäre, Standpulte oder Standuhren.
Sie stießen aber auch auf höchst befremdliche Stücke, die ihren Besitzern scheinbar so wichtig gewesen waren, dass sie sie trotz ihrer Größe und ihres Gewichts mit auf die zweitausend Meilen lange Reise genommen hatten. So sahen sie eine schwere Taucherglocke samt ledernem Anzug und Apparatus, einen großen Blasebalg, eine verbeulte Tuba, einen Amboss, einen Globus von der Größe eines Kompaniekessels, einen Badezuber aus Emaille, eine Frauenbüste aus Gips, ein schmiedeeisernes Gartentor, dicke Teppichrollen, einen zwölfarmigen Kerzenkronleuchter, großformatige Bilderrahmen mit reichem Schnitzwerk und tausenderlei mehr.
Unter all den Dingen entlang des Trails befand sich jedoch auch viel Proviant, der zurückgelassen worden war: aufgerissene Säcke mit Bohnen, eine Salzkiste, verstreutes Maismehl, von Maden zerfressene Speckseiten, Zwieback, mit Essig und Öl gefüllte bauchige Steinbehälter und noch vieles andere, was zu Beginn der Reise für unentbehrlich gehalten worden war.
In diesen Wochen, als sie über die Bergzüge mit ihren bis zu zehntausend Fuß hohen Passübergängen zogen, wurde bedeutend weniger geredet als vorher. Ihr Zug glich einem Trauerzug und oft war nur das Quietschen, Knarren und Rumpeln der Wagen zu hören. Alle sahen trostlos und mitleiderregend aus und hatten mit schmerzenden Gliedern, blutigen Blasen an den Füßen, verzerrten Muskeln und Sehnen, entzündeten Augen oder anderen körperlichen Beeinträchtigungen zu kämpfen. Jeden Morgen fiel es ihnen schwerer, sich vom Nachtlager zu erheben und den nächsten unendlich lang scheinenden Tag zu beginnen, der ihnen erneute Mühsal und Schmerzen bringen würde. Nicht leichter wurde die Reise durch das Wissen, dass sie, wenn sie endlich an der Trailgabelung hinter dem Sweetwater River standen, gerade einmal etwas mehr als die Hälfte der Strecke nach Oregon oder Kalifornien zurückgelegt hatten.
»Nur nicht an morgen und schon gar nicht an übermorgen denken, sondern nur an die nächsten Schritte«, hieß die Devise, um nicht den Mut zu verlieren. Aber selbst wenn sie spürten, dass alle Kräfte aufgebraucht waren, konnten sie der täglichen Tretmühle des Trails nicht entrinnen. Denn was sollten sie auch tun, als immer weiter und weiter zu ziehen und tapfer jede neue Teilstrecke anzugehen, als würde gerade diese sie ans Ziel bringen? An Umkehr war jetzt nicht mehr zu denken, viel zu weit waren sie schon auf dem Trail vorangeschritten.
Éanna hielt sich an den Leitspruch, so gut es eben ging. Sie versuchte, nur an das zu denken, was in den nächsten Augenblicken, höchstens Minuten, zu tun war, und daran, mit welchen Schwierigkeiten sie dabei rechnen musste. Wenn das sie nicht ausreichend zu beschäftigen vermochte, zählte sie ihre Schritte bis hundert, um dann wieder von Neuem anzufangen.
Sie hatte es schon längst aufgegeben, sich die Namen der Lagerplätze, Wasserstellen, Täler, Bergkuppen, Bachläufe und Flüsse einzuprägen, zu denen sie kamen. Namen wie Dead Timber Creek, Ted Rock Springs, Labonte River, Cat Creek, Rock Avenue, Alkali Swamp, Willow Springs, Sage Creek und all die vielen anderen, die Peer Erickson ihnen aus seinem Handbuch vorlas, verschwammen in ihrer Erinnerung und wirbelten durcheinander wie die Perlen einer zerrissenen Kette.
Nur der mächtige Independence Rock am Ufer des Sweetwater River, rund sechshundert Schritte lang, bis zu hundertfünfzig Schritte breit und fast ebenso hoch, ragte unvergesslich aus diesem Nebel der Eindrücke hervor. Eine der ersten Siedlergruppen hatte die frei stehende Felsformation am 4. Juli, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag, erreicht und ihm zur Feier des Tages diesen Namen gegeben. Seitdem gehörte er zu den ganz besonderen Wegmarken des Trails, von denen jeder Overlander schon vor seinem Aufbruch gehört hatte und dem er mit gespannter Erwartung entgegensah. Man konnte ihn von zwei Seiten gut ersteigen und hatte von seiner höchsten Erhebung einen herrlichen Ausblick. Wie beim Chimney Rock waren auch hier die Felswände über und über mit eingeritzten
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