Verheißung Der Nacht
in den Arm nehmen wollte. Er wusste , was es bedeutete, wusste , dass ihm nur noch Sekunden blieben, um zu handeln. Er hatte keine Wahl zwischen seinem Leben oder ihrem, es gab nicht einen Funken Hoffnung, sie retten zu können, das müssen Sie verstehen. Alles, was er noch tun konnte, war, sie von seinen Männern wegzubringen, um deren Leben zu retten. Das war seine Pflicht, seine Verantwortung. Er hat das Mädchen gepackt und nach draußen auf die Straße geworfen. Und später hat er Charles erzählt, es sei der Schrecken in ihren Augen gewesen, das Wissen, was man ihr angetan hatte, das ihn noch immer verfolgt. Das und ihr schreckliches Begreifen.«
Es dauerte lange, ehe Cammie die Sprache wiedergefunden hatte, ein dicker Kloß saß in ihrem Hals. »Ihr Onkel hat sie umgebracht, nicht Reid.«
»Ja. Aber Reid meint, er hätte wissen müssen, was passieren würde, er hätte es kommen sehen müssen und hätte etwas dagegen tun müssen. Oder wenn ihm das schon nicht gelungen war, so hätte er das Mädchen wenigstens in seinen Armen halten müssen, während sie starb.«
Reids Schmerz wurde zu Cammies Schmerz. Er traf sie tief in ihrem Inneren, als ein alles umfassendes Entsetzen, mit blutroten Bildern, die sich auch in sein Gedächtnis eingebrannt haben musste n. Jetzt verstand sie seinen düsteren Blick, den sie an dem Abend im Fort gesehen hatte, als sie ihm vorgeworfen hatte, Kinder zu mißhandeln. Verstand, wie ihn das kleine Mädchen mit dem Teller voll Essen und dem dankbaren Lächeln abrupt dazu veran Lass t hatte, sich zurückzuziehen. Und sie begriff auch den Ursprung für seine beinahe schmerzliche Zärtlichkeit, wenn er sie berührte. Tränen traten in ihre Augen, und ihr Herz schlug schmerzlich in ihrer Brust.
»Tun Sie das nicht, sonst breche ich auch noch in Tränen aus«, wehrte Michelle ab. Sie drehte sich schnell um, riß ein Papiertuch von der Rolle und reichte es Cammie, dann nahm sie sich selbst auch eines.
Cammie wollte Reid nicht wissen lassen, dass sie Bescheid wusste , nicht hier, nicht jetzt. Sie putzte sich die Nase und holte dann tief Luft. Sie versuchte, die Gedanken von sich zu schieben, wie Reid es ihr vorgemacht hatte, und fragte sich, ob er diese schmerzliche Lektion bei jenem schrecklichen Ereignis gelernt hatte. Und sie fragte sich auch, ob es ihm wohl immer wieder gelang, seine Erinnerungen zu verdrängen.
»Nun«, fuhr Michelle mit unsicherer Stimme fort. »Es sieht so aus, als würde er endlich beginnen, darüber hinwegzukommen, weil er Reina jetzt endlich auf den Arm genommen hat.« Sie warf Cammie einen tränenfeuchten und zugleich auch neckenden Blick zu. »Möglicherweise hat es ihm geholfen, ein großes Mädchen zu finden, das er zuerst einmal in den Arm nehmen konnte.«
Cammie versuchte vergeblich, ihr Lächeln zu unterdrücken. »Ich bezweifle, dass das je für ihn ein Problem war.«
»Reid war nicht sehr empfänglich für diese Dinge, wenn ich Charles glauben kann. Es hat einmal eine Frau gegeben, vor langer Zeit, die ihn sehr verletzt hat. Ich glaube zwar nicht, dass sie ihn zum Fall für den Psychiater gemacht hat oder zum Mönch, aber sie hat ihn immerhin dazu gebracht, eine gewisse Immunität zu entwickeln.«
Ich habe heute eine ganze Menge über Reid erfahren, dachte Cammie, mehr, als ich eigentlich wissen wollte. Sie wandte sich von Michelle ab und widmete ihre Aufmerksamkeit dem Käsekuchen.
Die beiden Männer starrten noch immer auf den Computerbildschirm und unterhielten sich so leise, dass man sie nicht verstehen konnte, als Cammie und Michelle ins Wohnzimmer zurückkamen. Das Baby schlief mittlerweile, wie eine Puppe lag es entspannt an Reids Schulter, der es mit seiner großen Hand hielt. Der zärtliche Ausdruck in seinem Gesicht, als er sich jetzt zu ihnen umdrehte, hätte sie beinahe wieder zu Tränen gerührt.
»Romm, sieh dir das mal an«, rief Charles. »Ich glaube, wir haben in der Lotterie gewonnen.«
Durch Methoden, die besser unerwähnt blieben, war es ihm gelungen, in den Zentralcomputer der FBI-Abteilung für organisiertes Verbrechen in den südöstlichen Landesteilen einschließlich New Orleans einzudringen. Er hatte schon zuvor mit dem FBI zusammengearbeitet, deshalb hatte er eine gewisse Ahnung, wo er das finden würde, wonach Reid suchte. Es war allerdings wesentlich schwieriger, als forschte man nach den Aktivitäten der örtlichen Mafia-Familien.
»Sie müssen verstehen«, erklärte Charles, » dass in New Orleans vieles anders ist
Weitere Kostenlose Bücher