Verheißung Der Nacht
als anderswo, was auch für das organisierte Verbrechen gilt.«
Cammie nickte zustimmend. »Ich habe einmal jemanden sagen hören, wenn in Louisiana das Verbrechen organisiert wäre, dann wäre es das einzige, was dort organisiert ist.« Sie lächelte schief.
»Das bringt es so ungefähr auf einen Nenner«, stimmte ihr Charles lächelnd zu. »Die Marcello-Familie ist die älteste Ma- fia-Familie in den Vereinigten Staaten. Carlos Marcello, der Pate, bekannt für seine quasi Verbindung zum tödlichen Anschlag auf Rennedy, lebt nicht mehr, aber dennoch laufen die Dinge weiter wie zuvor. Die Marcello-Version der Cosa No- stra, wie sie sich selbst am liebsten nennen, ist gegenüber den Familien im Norden etwas lockerer. Sie haben auch ihre Blutrache und ihre Schwüre und Loyalitäten, aber sie behaupten nicht von sich, die gesamte Rriminalität in New Orleans zu kontrollieren; für Neulinge gibt es noch immer ein breites Betätigungsfeld, solange sie den Alteingesessenen nicht auf die Füße treten. Es gibt auch keine festgefügte Hierarchie von Hauptleuten und Soldaten. Fehden und Rämpfe um das Territorium gehören nicht zum Stil der Marcellos, auch keine Schießereien in Restaurants oder Tote auf offener Straße. Wenn man wirklich einmal jemanden aus dem Weg schaffen muss , so geschieht das im stillen, mit einer anständigen Beerdigung, oder man entledigt sich der Leiche in den Alligatorsümpfen.«
Diese verschwommene Struktur des verbrecherischen Familienverbandes, so erklärte er weiter, mache es schwierig, die Verbrechen zu verfolgen, und beinahe unmöglich, die Organisation zu zerschlagen. Der FBI überwache jedoch die Situation, wie Reid ihr schon erklärt hatte, da das Glücksspiel in dem Staat legalisiert werden sollte.
Keith Huttons Name erschien auf einer Liste von Spielern, deren Schulden einer Inkasso-Agentur übertragen worden waren, die im Auftrag eines weniger radikalen City-Shreve- port-Zweiges der Cosa Nostra die Schulden eintreiben sollte. Er schuldete ihnen eine Summe, die eine viertel Million Dollar noch überstieg.
Reid streckte vorsichtig die Hand aus, um das schlafende Baby an seiner Schulter nicht aufzuwecken, und deutete auf die Summe neben dem blinkenden Cursor auf dem Bildschirm. »Ich würde sagen, eine solche Summe Geldes zu veruntreuen müßte reichen, um ihm eine heimliche Fahrt aus der Stadt heraus einzubringen und von einem Profi beseitigt zu werden, um ein Exempel zu statuieren.«
»Dann hattest du also recht«, meinte Cammie und legte ihm eine Hand auf die Schulter, weil sie sich schmerzlich danach sehnte, ihn zu berühren.
»Aber es gibt keine Beweise«, antwortete Reid. »Es gibt nichts, womit man beweisen könnte, dass die Schläger in seiner Nähe waren oder dass sie einen bestimmten Auftrag hatten.«
»Glaubst du denn, es wäre so einfach?« fragte sie.
Er lächelte, vermied es aber, sie anzusehen. »Vielleicht nicht, aber es wäre trotzdem schön gewesen.«
»Und was tun wir jetzt?«
»Das ist die Frage«, antwortete er leise.
In New York würden sie nicht mehr herausfinden, deshalb gab es auch keinen Grund, noch länger zu bleiben. Als sie am Flughafen waren, erwachte in Cammie der beinahe unwiderstehliche Wunsch, das nächste Flugzeug nach Paris oder Venedig zu besteigen - einfach irgendwo hinzufliegen, nur nicht zurück nach Hause. Doch sie musste diesen Wunsch unterdrücken. Wegzulaufen, ganz gleich wie verführerisch dieser Gedanke auch war, würde ihr nicht helfen. Sie stiegen in ihr Flugzeug nach Hause.
Die Geschichte, die Michelle ihr erzählt hatte, ging Cammie nicht aus dem Kopf. Sie wollte mit Reid darüber sprechen, doch jetzt schien nicht die richtige Zeit dafür zu sein, es gab keine Möglichkeit, das Gespräch ganz zwanglos auf dieses Thema zu bringen. Sie wollte auch nicht, dass er dachte, sie empfände Mitleid mit ihm, er sollte nicht wissen, dass sie und Michelle hinter seinem Rücken über ihn gesprochen hatten. Und außerdem glaubte sie nicht, dass sie über das kleine Mädchen würde sprechen können, ohne in Tränen auszubrechen.
Während sie dem Dröhnen der Flugzeugmotoren lauschten und die Vibrationen fühlten, dachte sie an die Frau, von der Michelle gesagt hatte, sie hätte Reid damals verletzt. War es möglich, dass sie, Cammie, diese Frau gewesen war? Dieser Gedanke schmerzte sie. Sie konnte sich nicht vorstellen, seine Liebe nicht zu erwidern, falls er sich je entscheiden würde, sie ihr zu schenken. Er hatte einer Frau so viel zu
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