Verheißung Der Nacht
noch immer trug, so gut es ging über ihre Knie. Der Morgenmantel muss ein Relikt aus den Tagen sein, als Reid noch zur High-School gegangen ist, dachte sie, weil er so kurz war und so abgetragen. Der Gedanke, dass es eines seiner bevorzugten Kleidungsstücke war, das sie jetzt trug, dass er es vielleicht überall in der Welt mit sich genommen hatte, gab ihr ein eigenartiges Gefühl.
Und dennoch wollte sie lieber nicht darüber nachdenken, was die Leute sagen würden, wenn sie sie so sahen. Die Klatschtanten hätten ihren großen Tag bei einer solchen Neuigkeit. Cammies Besorgnis um möglichen Tratsch war jedoch nicht stark genug gewesen, um wieder in ihre feuchte Unterwäsche zu schlüpfen und in ihre nasse Bluse und die Jeans. Wenn sie den Leuten keine interessanten Neuigkeiten verschaffte, dann würden die einfach etwas erfinden, was sich weiterzuerzählen lohnte.
Auf der Fahrt zu ihrem Haus sprach sie nur wenig mit Reid. Der Regen trommelte auf das Dach des Jeeps, die Scheibenwischer quietschten laut in der Stille. Einmal bemerkte sie, dass Reid zu ihr hinsah, dann wieder auf den Weg vor ihnen blickte und sie noch einmal ansah. Das schwache Licht des Armaturenbrettes verlieh seinem Gesicht einen grünlichen Schein, doch seine Augen lagen im Schatten. Er blickte auf ihr Haar, das ihr über die Schultern fiel, seine Augen ruhten sekundenlang auf ihren Brüsten, die sich gegen den dünnen Stoff des Morgenmantels drängten, und verweilten dann an der Stelle, wo der Morgenmantel von ihren Knien gerutscht war. Als er den Blick wieder hob, hielten ihre Augen einander fest.
Cammie fühlte seine Blicke auf ihrer Haut, sie waren beinahe wie eine zärtliche Liebkosung. Sie wollte wegsehen, wollte seinen Blicken ausweichen, doch es war, als sei sie in einer unsichtbaren Schlinge gefangen. Nie in ihrem Leben war sie sich der Anwesenheit eines Mannes neben ihr so sehr bewußt gewesen, seines muskulösen Körpers und seiner Kraft. Er hatte etwas so Urtümliches an sich, so unvergänglich wie die mit Pinien bewachsenen Hügel des Wildreservates. Doch gleichzeitig fühlte sie die Mauer, die er um sich herum errichtet hatte, eine Mauer, so stark und undurchdringlich wie die Bäume in diesem Reservat, Barrieren, die man als Schutz benutzen konnte, aber auch als Hinterhalt für die Unvorsichtigen.
Im Grunde musste sie ihm zustimmen, wenn er sich als animalisch beschrieb. Reid schien so etwas Unbezähmbares und Gefährliches an sich zu haben, wie der seltene Puma in diesen Wäldern, den man auch Sumpfpanther nannte. Und dennoch fürchtete sie sich nicht vor ihm, ganz im Gegenteil. Zu gern hätte sie herausgefunden, ob er sie angreifen würde, wenn sie ihm zu nahe kam, oder ob er ihr erlauben würde, ihn zu berühren, ob er bereit war, ihr seine ungezügelte, wilde Leidenschaft zu zeigen.
Sie brauchte ihre ganze Willenskraft, um ihre Blicke von ihm loszureißen. Sie wandte den Kopf ab und starrte durch die Windschutzscheibe in die Dunkelheit. Mit zusammengebissenen Zähnen wartete sie darauf, dass dieser verrückte Augenblick vorüberging.
Das Haus, in dem Cammie wohnte, tauchte dunkel und einsam vor ihnen auf, als Reid in die Einfahrt einbog und dann den Hügel hinauf zu dem Haus fuhr. Es war einige Jahrzehnte älter als das Fort; im Grundbuch hatte es den Namen Evergreen, auch wenn die meisten Leute es das Greenley-Haus nannten. Es war im georgianischen Stil erbaut und zwei Stockwerke hoch. Große Fächerfenster befanden sich zu beiden Seiten der Eingangstür, die übrigen Fenster waren hoch und symmetrisch angeordnet; eine überdachte Veranda umgab das ganze untere Stockwerk, ihre Säulen trugen den Balkon im oberen Stockwerk. Es war ein Haus, wie es die Plantagenbesitzer in Louisiana vor dem Bürgerkrieg gebaut hatten. Im Laufe der Jahre war es modernisiert und vergrößert worden und besaß jetzt einen anmutigen Charme, der von besinnlichen und weniger hektischen Zeiten zeugte.
Während seiner Blütezeit war das Haus von einigen tausend Hektar Baumwollfeldern umgeben gewesen. Die weiter entfernten Felder hatte man nach und nach verwildern lassen, der Wald hatte sich dieses Land zurückgeholt. Die Felder in der Nähe des Hauses waren eines nach dem anderen verkauft worden, um Hypothekenzinsen bezahlen zu können oder um Bargeld für Anschaffungen zur Hand zu haben. Jetzt umgaben das Haus weniger als acht Morgen Land, obwohl Cammie fand, dass es im Sommer immer noch reichlich Gras zu mähen und Hecken zu schneiden
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