Verheißung Der Nacht
nicht.«
Reid Sayers' Urgroßvater war vor beinahe hundert Jahren als Holzfäller in den Süden gekommen, um hier sein Glück zu machen. Er hatte sein Glück gefunden, als er Cammies Urgroßmutter kennenlernte, Lavinia Greenley, die damals verheiratet war und auch schon ein Kind hatte. Justin Sayers hatte die arme Frau bezaubert und eine heftige Affäre mit ihr begonnen. Und als die Affäre dann vorüber war, hatte Justin von Cammies Urgroßmutter dreihundert Morgen des besten Landes erschwindelt, und Lavinias Ehemann war tot.
Es war damals ein riesiger Skandal gewesen, und noch heute wurde in Greenley davon gesprochen. Nicht zuletzt, weil Justin Sayers damals in der Stadt geblieben, ein reicher Mann geworden war und eine große Nachkommenschaft hinterlassen hatte. Man konnte zwar die Feindseligkeit zwischen den Familien Sayers und Greenley nicht gerade eine Fehde nennen, aber die beiden Familien verkehrten noch immer nicht miteinander.
»Lavinia Greenley war keine Frau, die klagte«, erklärte Cammie jetzt gepresst .
»Offensichtlich nicht. Ich habe oft darüber nachgedacht.« Reids Stimme klang nachdenklich. »Ich habe mich gefragt, ob sie dir wohl ähnlich war und was du an ihrer Stelle getan hättest.«
Cammie stockte der Atem. Nie hätte sie sich träumen lassen, dass Reid Sayers an sie dachte. Es war ein beunruhigender, ja beinahe schmerzlicher Gedanke, sich vorzustellen, dass er sie mit Lavinia verglich. Ohne nachzudenken, fragte sie: »Hast du dich selbst etwa auch als Justin gesehen?«
»Als wen denn sonst?«
Seine Stimme schien die regenfeuchte Nacht zu durchdringen, sein Gesicht war nur einen Hauch von ihrem entfernt. Sie fühlte seinen warmen Atem an ihrer Wange, sein Duft stieg in ihre Nase. Es war eine Mischung aus frischer Nachtluft, einem Hauch von After-shave und überwältigender Männlichkeit, eine Ahnung von Wildheit, auf die ihr Körper heftig reagierte.
Die Muskeln in seinem Bauch spannten sich an, sie fühlte, wie an seinem Arm, der unter ihrem Nacken lag, die Muskeln hervortraten. Er zog scharf den Atem ein, bemüht, nicht die Kontrolle über seinen Körper zu verlieren.
Über ihnen wehte der Wind durch die Baumwipfel, Regentropfen prasselten auf die Blätter und auch auf den wasserundurchlässigen Stoff des Ponchos. Sie glänzten in Reids dunklem Haar und tropften warm von seinem Gesicht auf ihre Stirn. Ihre Berührung war beinahe wie ein zärtliches Streicheln.
Cammie wusste plötzlich mit absoluter Sicherheit, dass er den Kopf zu ihr beugen würde, um sie zu küssen, wenn sie auch nur eine winzige Bewegung machte. Wenn sie noch mehr tat, wenn sie ihren Arm um seinen Hals schlang, ihre Schenkel seinem Druck nur ein wenig mehr öffnete, dann würde er sie gleich hier auf dem weichen Untergrund von feuchten Blättern nehmen.
Sie spielte mit dem Gedanken; es war verlockend, sich vorzustellen, was geschehen würde, wenn sie sich voller Lust gegen ihn drängte. Und wenn ihr Gedankengang sie auch erschreckte, so war sie doch so unerträglich bezaubert von dieser Möglichkeit, dass ihr der Atem stockte.
Irgendwo hinter ihnen stürzte ein toter Ast mit lautem Knacken zu Boden.
Ein Schauer lief durch Reids Körper. Er holte tief Luft, dann hob er sich mit einer schnellen Bewegung von ihr und stand auf. Er streckte Cammie die Hand entgegen und zog sie hoch, dann nahm er den Poncho, legte ihn um sie und schloss ihn über ihrer Brust.
»La ss uns gehen«, befahl er tonlos. »Ehe ich etwas tue, was wir beide später bereuen würden. Wieder einmal.«
Schnell und sicher führte er sie durch den dunklen Wald. Nie zögerte er, er wurde nicht langsamer und blieb nur dann stehen, wenn er ihr über einen umgestürzten Baum half oder einen der zahllosen Bäche. Er war in diesem Wald hier genauso zu Hause wie in seinem eigenen Wohnzimmer.
Der Poncho um Cammies Schultern war so lang, dass er beinahe bis auf den Boden hing. Mehrere Male stolperte sie darüber, doch dann raffte sie mit einer Hand den schweren Stoff zusammen und hielt ihn hoch.
Immer wenn sie stolperte, hielt Reid Sayers sie fest, es war beinahe so, als könne er in der Dunkelheit sehen oder als hätte er einen sechsten Sinn, was sie betraf. Aber jedesmal ließ er sie auch sofort wieder los.
Cammie war sich seiner Gegenwart beunruhigend bewusst . Irgendwo, tief in ihrem Inneren, erwartete sie seine Berührung, wenn sie stolperte, vermisste sie, wenn er sie wieder losließ. Sie wehrte sich gegen dieses Gefühl. Es war alles so
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