Verheißung Der Nacht
Anwaltsbüro Lane, Endicott und Lane. Meistens besteht meine Aufgabe nur aus Routinearbeiten: Hypotheken bearbeiten, Urteile überprüfen, Erben suchen und Testamente überprüfen und noch mehr solcher Sachen. Und dann bekamen wir vor ein paar Wochen den Auftrag der Papierfabrik, nach dem Rechtstitel der Fabrik zu suchen, den alten Pachtvertrag mit Justin Sayers ausfindig zu machen und auch das Original der Urkunde, das die Eigentümerschaft an dem Land beweist, auf dem die Papierfabrik steht.«
Cammie fühlte, wie ein Schauer durch ihren Körper lief, etwas wie Erregung in ihr aufstieg. Janet Baylor sprach über das Land, das angeblich ihre Urgroßmutter Lavinia dem alten Justin geschenkt hatte. Sie hatte schon immer geahnt, dass mit dieser Transaktion etwas nicht stimmte.
»Bis jetzt kann ich Ihnen folgen«, sagte sie und lächelte ihr Gegenüber aufmunternd an.
Janet Baylor nickte. »Ich habe den Pachtvertrag gefunden, mit dem Justin Sayers der Sayers-Hutton Tüten- und Papierfabrik das Land für neunundneunzig Jahre verpachtet hat, unterschrieben und notariell beglaubigt, alles ist in Ordnung damit. Aber ich konnte beim besten Willen keinen Beweis dafür finden, dass Lavinia Anne Wiley Greenley Justin Sayers das Land geschenkt hat. Nichts. Absolut nichts. Es hätte doch irgendwo aufgeführt sein müssen oder beurkundet, mindestens an drei verschiedenen Orten. Aber wo ich auch gesucht habe, ich habe es nicht gefunden.«
»Wollen Sie damit sagen, die Unterlagen sind irgendwann in den letzten hundert Jahren verlegt worden - oder gestohlen?« Cammie kniff nachdenklich die Augen zusammen.
»Nein, so war es nicht.« Die junge Frau sah beunruhigt aus. »Ich denke eher, die Urkunden sind vielleicht in den zwanziger Jahren zerstört worden, als das Gerichtsgebäude brannte.« Sie runzelte die Stirn. »Aber selbst dann hätte man irgendwo in den Registern der Jahre um 1890 etwas davon finden müssen - das alte Buch ist durch das Feuer nicht in Mitleidenschaft gezogen worden. Aber es gibt auch noch zwei andere Möglichkeiten.«
Sie hielt inne und leckte sich mit der Zungenspitze über die Lippen, als seien sie plötzlich sehr trocken. Cammie konnte sich schon denken, was Janet Baylor sagen würde. Sie beobachtete sie angespannt. »Ja?«
Janet Baylor holte tief Luft, dann reckte sie die Schultern und hob das Kinn. »Die erste Möglichkeit ist die, dass die Urkunde nie abgeheftet wurde, aus welchem Grund auch immer, dass sie noch immer irgendwo liegt oder vielleicht in einem Safe irgendwo aufbewahrt wird. Die andere Möglichkeit ist, dass es diese Urkunde nie gegeben hat.«
Dass es diese Urkunde nie gegeben hat ...
Cammie starrte auf den marmornen Kaminsims ihr gegen über und hörte das Echo der Worte in ihrem Kopf. Wenn es die Urkunde nie gegeben hatte, dann gehörte das Land, auf dem die Papierfabrik stand - und vielleicht sogar auch die Gebäude -, den Erben der Greenleys, den Nachkommen von Lavinia Greenley und ihrem Mann Horace. Das bedeutete ...
»Aber da war noch etwas.«
Cammie wandte abrupt den Kopf, als die Stimme der jungen Frau in ihr Bewußtsein drang. »Ja?«
Janet Baylor drehte das Glas in ihrer Hand, dann stellte sie es auf das Tablett zurück, das auf dem kleinen Tisch vor ihnen stand. Ihre Finger zitterten so sehr, dass sie etwas von dem Wasser verschüttete, das wie flüssiges Kristall auf dem silbernen Tablett aussah. »Oh, das tut mir leid.«
»Das macht nichts«, wehrte Cammie ab. »Sprechen Sie weiter.«
Ihre langen, dünnen Wimpern flatterten, die junge Frau preßte die Hände im Schoß zusammen. »Nun ja, ich habe in den alten Abstammungsurkunden der Greenleys nachgesehen, weil ich dachte, ich würde die Urkunde vielleicht dort finden. Es hätte ja sein können, dass sie irrtümlich dort abgelegt wurde oder dass es Komplikationen gegeben hat, vielleicht frühere Hypotheken oder eine Verbindung zu einer anderen, vielleicht noch größeren Grundstückstransaktion. Und dort habe ich dann die Scheidungsurkunde gefunden.«
»Welche? Meine?« fragte Cammie und zog verwirrt die Augenbrauen zusammen.
Janet Baylor schüttelte den Kopf. »Die von Horace und Lavinia Greenley.«
»Sie müssen sich irren. Es hat nie eine Scheidung gegeben. Das wäre damals ein schrecklicher Skandal gewesen.«
»Aber es hat sie dennoch gegeben, 1890, zwei Jahre bevor Horace Greenley gestorben ist. Ich habe sie mit eigenen Augen gesehen. Sie ist von Horace unterschrieben, und das ist ganz sicher, denn die
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