Verheißung Der Nacht
Es sieht ganz so aus, als hätte sie all ihre Sachen gepackt und sei verschwunden. Ihr Frühstücksgeschirr stand noch auf dem Tisch, im Kühlschrank waren noch Lebensmittel, ihre Fotoalben sind noch da und eine Schublade voller Andenken, die ein Mädchen so aufhebt - getrocknete Blumen, leere Pralinenschachteln vom Valentinstag, die Gläser, mit denen sie bei ihrer Hochzeit angestoßen hatten. Alles sah aus, als wäre sie in aller Eile verschwunden. Aber sie hat niemandem gesagt, wohin sie gefahren ist oder wann sie zurückkommt.«
»Und niemand hat sie wegfahren sehen?«
Wen schüttelte den Kopf. »Ihren Wagen haben sie heute am späten Nachmittag gefunden, er stand auf dem Parkplatz des St. Francis Hospitals in Monroe. Sie denken, dass sie von dort aus vielleicht zur Bushaltestelle gegangen ist, denn die ist in der Nähe, aber niemand kann sich daran erinnern, sie gesehen zu haben. Soweit man weiß, ist sie ganz einfach verschwunden.«
Cammie blickte mit gerunzelter Stirn über den See. Der Mond stieg gerade hinter den Bäumen hervor. Sie sah, wie er einen silbernen Strahl über das Wasser warf. »Warum sollte sie so etwas tun? Hat denn niemand eine Ahnung?«
»Es gibt nicht viele Anhaltspunkte«, meinte Wen und zuckte mit den Schultern. »Janet war kein Mädchen, das viele Männerfreundschaften hatte. Sie hat nicht getrunken und ist auch nie außerhalb der Stadt durch die Kneipen gezogen. Das einzig Ungewöhnliche ist, dass sie am Abend vor ihrem Verschwinden einen männlichen Besucher hatte. Aber das hat auch nur eine einzige Frau beobachtet, eine Witwe, die in der gleichen Straße wie sie wohnt. Es war schon beinahe dunkel, und die Frau sieht auch nicht mehr so gut wie früher, deshalb hat sie den Mann nicht erkennen können.«
»Hat es denn irgendwelche Anzeichen eines Kampfes gegeben?«
»Es deutet jedenfalls nichts darauf hin. Wie es scheint, hat Janet ihre Wohnung aus freien Stücken verlassen. Einige glauben, dass sie zusammen mit ihrem Besucher verschwunden ist und dass ihr Wagen vielleicht später gestohlen wurde. Entweder das, oder die beiden haben sich abgesprochen, sich außerhalb der Stadt zu treffen, damit man sie nicht miteinander sieht, und haben dann ein Taxi zum Flughafen genommen, für ein romantisches Treffen irgendwo. Auf der anderen Seite besteht natürlich auch die Möglichkeit, dass irgendein Verrückter sie dazu überredet hat, mit ihm zu gehen, und man ihren Körper irgendwann einmal im Straßengraben findet.«
Cammie schwieg nachdenklich. Vielleicht hatte Janet Baylors Verschwinden ja wirklich nichts mit ihrer Entdeckung im Gericht zu tun, aber immerhin bestand diese Möglichkeit. Wenn es eine Verbindung gab, dann war es vielleicht wichtig, dass der Sheriff erfuhr, worum es hier überhaupt ging. Es beunruhigte Cammie, dass sie die Sache an die Öffentlichkeit bringen musste , aber es würde wohl nicht anders gehen.
»Janet hat mich in der letzten Woche besucht«, sagte sie. Seufzend stellte sie ihr Weinglas auf den Stuhl neben sich, dann fuhr sie sich mit den Fingern durchs Haar und stützte den Kopf in die Hand. Sie erzählte Wen die Geschichte, die die Anwaltsgehilfin ihr berichtet hatte.
»Das erklärt einiges«, meinte Wen grimmig, als Cammie geendet hatte. »Nancy Clemens, eine der Frauen im Büro des Gerichtssekretärs, hat mir erzählt, dass sich jemand vor ein paar Tagen mit dem Messer an einigen der Bücher zu schaffen gemacht hat. Sie sagte, einige große Seiten wären aus den Büchern herausgeschnitten worden, obwohl sie nicht genau weiß, wann das passiert ist.«
»Es würde ja einen Sinn ergeben, wenn es sich dabei um die Scheidungsurkunden handeln würde«, meinte Cammie mit gerunzelter Stirn. »Aber ich kann nicht glauben, dass Janet so etwas tun würde. Sie scheint gar nicht der Typ dafür zu sein.«
Wen schnaufte verächtlich. »Die Menschen tun Dinge, die du nie für möglich halten würdest, wenn man ihnen dafür nur die richtige Summe Geldes bietet.«
»Aber jeder weiß doch, dass sie an diesen Büchern gearbeitet hat, alle wissen, wann sie gekommen und wann sie gegangen ist. Da ist es doch viel zu offensichtlich, wenn sie so etwas tun würde.«
»Jemand, der dort arbeitet, wird meistens als letzter verdächtigt. Natürlich könnte sich auch jemand an den Büchern zu schaffen gemacht haben, der von ihrer Entdeckung gewusst hat, jemand, der gehofft hat, dass es lange dauert, bis man feststellt, dass die Seiten in den Büchern fehlen. Nancy Clemens ist ein
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