Verheißung Der Nacht
Bootsführer saß im Heck des Bootes. Das leise Brummen des Motors schallte zu ihr hinüber, und Augenblicke später stellte sie fest, dass das Boot auf den Anleger ihres Hauses zufuhr.
Sie blickte an sich hinunter und erkannte, dass sie in ihrem weißen T-Shirt und dem cremefarbenen Rock deutlich auf der überdachten Veranda sichtbar war. Sie trat einen Schritt zurück, bereit, im Haus zu verschwinden. Ein Besucher war jetzt das letzte, was sie gebrauchen konnte.
»Lauf nicht weg, meine Süße, ich bin's doch nur!«
Der Ruf vom Wasser ließ sie innehalten. Wen Marston. Die Stimme voller Humor erkannte sie sofort.
Mit einem tiefen Aufatmen wich die Anspannung von Cammie. Lächelnd öffnete sie die Tür der Veranda und ging den Kiesweg zum See hinunter. Als das Boot an den Anleger stieß, fing sie die Leine auf, die Wen ihr zuwarf, dann trat sie zurück, als ihre Cousine die Leiter zum Anleger hochkletterte.
»Was tust du hier draußen, so spät am Abend?« erkundigte Cammie sich.
»Ich besuche dich, mein Schatz. Ich habe die Hochzeit ausfallen lassen, und zu dem Empfang dort drüben war ich zu spät - die alte Mrs. Connelly hat mich gerufen, damit ich mir die diamantene Anstecknadel ihrer Großmutter noch einmal ansehe. Dabei hat die Frau überhaupt nicht die Absicht, sie zu verkaufen. Nun ja, jemand sagte, er hätte dich gesehen, wie du hierhergefahren bist. Und da dachte ich, ich komme zu dir und erzähle dir die großartige Geschichte, die ich gerade gehört habe.«
Cammie unterdrückte ein Lächeln, als Wen ununterbrochen redete, während sie auf das Haus zugingen. »Komm rein, dann mache ich dir einen Drink.«
»Das läßt sich hören.«
Cammie goß Wen einen steifen Bourbon mit Cola ein und für sich ein Glas Weißwein. Sie nahmen ihre Gläser mit auf die Veranda, da es draußen angenehm warm war. Sie setzten sich in zwei Gartenstühle aus Zypressenholz, lehnten sich zurück und atmeten tief die sanfte Nachtluft ein. In dem schwachen Licht, das aus der Küche auf die Veranda fiel, konnten sie einander kaum erkennen.
»Ich weiß nicht, warum du nicht hierherziehst«, meinte Wen und nahm einen großen Schluck von ihrem Drink. »Wenn das mein Haus wäre, würde ich das sofort tun.«
»Ich habe ab und zu schon einmal daran gedacht.«
Das Wochenendhaus mit den beiden Schlafzimmern und einem einzigen großen Raum, der zugleich als Küche, Eßzimmer und Wohnzimmer diente, war zwar nicht sehr groß, aber gemütlich. Das niedrige Dach, das auch die umlaufende Veranda überdachte, die hohen Bäume und der große Kamin mit seiner Holzverkleidung gaben ihm ein viel geräumigeres Aussehen, als es von außen den Anschein hatte. Es machte einen friedlichen Eindruck und erinnerte an lange, verträumte Sommer, ruhige Winterabende und unendliche Gemütlichkeit. Aber es lag beinahe fünfzehn Meilen außerhalb der Stadt, und es war nicht Evergreen.
Die beiden unterhielten sich eine Weile über dies und das, dann fragte Cammie: »Also, was ist mit deiner Geschichte? Lass mich nicht länger zappeln.«
Wen warf Cammie, die entspannt in ihrem Gartenstuhl lehnte, einen skeptischen Blick zu, dann nahm sie noch einen Schluck von ihrem Drink. »Also gut«, begann sie. »Da ist dieses Mädchen, das für Arthur Lane arbeitet - ein ruhiges kleines Ding, ein wenig mausgrau. Sie hieß Reese, ehe sie den Jungen der Baylors geheiratet hat. Im letzten Jahr haben sie sich scheiden lassen, erinnerst du dich?«
»Janet Baylor.« Ein eisiger Schauer lief Cammie über den Rücken, der nichts mit dem Glas mit kühlem Wein in ihrer Hand zu tun hatte. Janet war die Anwaltsgehilfin, die herausgefunden hatte, dass es die Besitzurkunde für das Land der Papierfabrik nicht gab.
»Richtig«, meinte Wen und warf ihr in dem schwachen Licht einen eindringlichen Blick zu. »Wie es scheint, hat sie in dem Apartment draußen auf der alten Friedhofstraße gewohnt, seit sie sich von ihrem Mann getrennt hat. Nun ja, und gestern morgen ist sie nicht zur Arbeit gekommen. Eines der anderen Mädchen aus dem Anwaltsbüro hat bei ihr angerufen, doch sie hat sich nicht gemeldet. Niemand hat sich etwas dabei gedacht, aber heute morgen ist sie auch nicht zur Arbeit gekommen. Und als niemand sie erreichen konnte, hat man bei ihrer Mutter angerufen. Sie ist in ihre Wohnung gegangen, um nach ihr zu sehen. Aber Janet war weg.«
»Einfach ... weg?«
»Ihre Schränke waren leer, nichts war mehr im Bad, ihre Handtasche und ihr Wagen waren auch nirgendwo zu finden.
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