Verheißung des Glücks
ihn schließlich gegen ein Mietpferd getauscht. Wahrscheinlich würde ihn der Hengst zu Tode trampeln, wenn er ihm noch einmal zu nahe kam.
Im Haus seiner Tante fiel Lincoln sofort ins Bett und verschlief die ganze Nacht und den darauf folgenden Tag. Beschämt musste er sich schließlich eingestehen, dass er schon viel früher eine Ruhepause hätte einlegen sollen, denn nach dem Aufwachen konnte er endlich wieder einen klaren Gedanken fassen. Es wurde ihm auch sofort bewusst, dass er sich wie ein Idiot benahm.
Er war im Begriff, den größten Fehler seines Lebens zu wiederholen, indem er die Person, die er am meisten liebte, aus seinem Dasein verbannte. Im Augenblick quälten ihn schreckliche Schuldgefühle für das, was er seiner Mutter angetan hatte. Er hatte dem ungezogenen Kind, das in ihm steckte, schon viel zu lange erlaubt, sein Schicksal zu bestimmen. Nach allem, was Lincoln nun über die Zeit vor seinem Weggang aus Schottland erfahren hatte, galt sein erster Gedanke Melissa. Wenigstens sie wollte er vor diesem zornigen, egoistischen Kind schützen. Gleichzeitig hatte er es wohl auch bestrafen wollen, indem er ihm das Liebste, was es hatte, wegnahm. Aber das Kind war schon genug gestraft. Es war an der Zeit, sich endgültig von diesem zerstörerischen kleinen Wesen zu verabschieden. Nun konnte
Lincoln nur hoffen, dass nicht bereits alles verloren war und dass Melissa ihn noch wollte.
Als er ins Erdgeschoss hinunterging, wurde gerade das Dinner aufgetragen. Nur seine Tante war zu Hause.
»Wo ist Edi?«, fragte Lincoln, während er sich mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre er nie weg gewesen, am Tisch niederließ.
»Sie verbringt das Wochenende bei ihrem Bräutigam und seinen Eltern, um mit ihnen die Hochzeit zu besprechen. Aber warum in aller Welt bist du hier in London? Das bedeutet doch hoffentlich, Melissas Familie hat keine Einwände mehr gegen dich?«
»Ich glaube, ich habe alles nur noch schlimmer gemacht«, antwortete Lincoln.
»Oh nein!«
»Wenigstens die MacFearsons haben nun einen Grund zum Feiern«, fügte er trocken hinzu. Henriette wusste, auf wie viel Ablehnung Lincoln bei Melissas Onkeln gestoßen war. Deshalb erriet sie sofort, was hinter dem unverhofften Auftauchen ihres Neffen steckte. »Du gibst den Kampf um Melissa auf?«
Lincoln blieb ihr die Antwort auf diese Frage zunächst schuldig. Erst musste er etwas anders klären. »Wusstest du, dass mein Vater noch am Leben war und erst vor zwei Jahren starb?«
Henriette schnappte entsetzt nach Luft. »Großer Gott, Lincoln, wer erzählt dir denn solchen Unsinn?«
»Meine Mutter. Aber offensichtlich hat sie dir tatsächlich nie etwas davon gesagt, und Onkel Richard war höchstwahrscheinlich ebenso ahnungslos wie du. Sicher wollte Mutter mit ihrem Schweigen verhindern, dass ihr Bruder mir eines Tages — vielleicht aus Mitleid — alles sagt.«
Henriette musterte Lincoln eingehend. »Das soll nicht etwa ein missglückter Scherz sein, oder?«
»Es ist purer Ernst.«
Dann erzählte Lincoln seiner Tante alles, was er inzwischen über seinen Vater und dessen jahrelangen Leidensweg wusste. Anschließend beichtete er ihr gleich noch die fürchterliche Dummheit, die er nach den schockierenden Eröffnungen seiner Mutter begangen hatte. Henriette glaubte ihren Ohren nicht zu trauen, als sie von Lincolns überhastetem Aufbruch nach London und dem Brief an Melissa hörte.
»Die MacFearsons haben also von Anfang an Recht gehabt«, sagte sie, als er geendet hatte. »Du bist tatsächlich nicht ganz bei Trost.«
Lincoln wusste, warum sie das sagte, und brachte sogar ein Lächeln zustande. »Nein. Ich bin nur ein Idiot. Noch dazu einer, der aus lauter schlechtem Gewissen einfach davonläuft. Dabei hätte ich lieber erst einmal gründlich über alles nachdenken sollen. Aber ich habe geglaubt, ich müsste nun wenigstens Melissa schützen — vor mir.«
»Und du wolltest dich selbst bestrafen.«
»Das wohl auch.«
Henriette schüttelte den Kopf. »Du kannst von Glück sagen, dass das Mädchen dich liebt. Sie wird dir sicher verzeihen, wenn du die Sache sofort in Ordnung bringst.«
»Ich breche morgen in aller Frühe nach Schottland auf. Aber ich bin mir nicht sicher, ob Melissa mich noch will. Sie musste schon so vieles durchmachen. Allein der Unfriede, der wegen mir in ihrer Familie herrschte, wäre schon schlimm genug. Aber sie war dabei, als Mutter mir alles erzählte, und glaubt nun bestimmt, meine Vergangenheit wird mich ewig
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