Verheißungsvolle Küsse
Seine Strategie, soweit sie sie als kühnen und mutigen Vorstoß erkannte, beeindruckte sie. Schließlich kannte er Fabien nicht.
»Vom Naturell her gleicht Ihr euch sehr.« Ehrlichkeit zwang sie hinzuzufügen: »In mancher Hinsicht.«
Er war unendlich viel gütiger. Viele seiner Aktionen, die zwar mit typischer Arroganz und Selbstherrlichkeit ausgeführt wurden, entsprangen einem ganz unvoreingenommenen, selbstlosen Wunsch zu helfen - etwas, das sie ungeheuer liebenswert fand. Güte war keine Charaktereigenschaft, die Fabien besaß. Nach reiflicher Überlegung war sie längst zu dem Schluss gekommen, dass Fabien niemals an irgendjemanden außer an sich zu denken pflegte.
Wenn St. Ives die Rückkehr seiner Schwester aufs Land arrangierte, dann tat er das zu ihrem Besten. Fabien würde dasselbe für eigene Zwecke tun, ohne Rücksicht darauf, ob das gut für seine Spielfigur war, oder ihr sogar schaden könnte.
Sie studierte weiter Sebastians Gesicht. Er zog eine Braue hoch. »Wer wäre Euch lieber, wenn Ihr wählen könntet - Euer Vormund oder ich?«
Und sie wusste, dass er das Gespräch mit ihr wegen dieser Frage gesucht hatte. Eine einzelne schlichte Frage, die, wie er richtig ahnte, der zentrale, der entscheidende Faktor bei ihrer Entscheidung, was sie als Nächstes tun würde, war.
»Keiner von Euch wäre meine erste Wahl.«
Seine Mundwinkel zuckten nach oben. Er neigte den Kopf. »Das akzeptiere ich. Jedoch, wie Euch inzwischen klar geworden ist, wird Euch die Wahl nicht von mächtigen Männern befreien. Wenn es nicht Euer Onkel ist oder ich, dann wird es ein anderer von unserer Sorte sein.«
Er zögerte, dann hob er eine Hand, strich über ihre Wangen, berührte sie leicht mit den Fingerspitzen. »Ihr seid außerordentlich schön, mignonne, extrem vermögend und aus höchsten Adelskreisen. Ihr seid eine Trophäe und eine Frau - diese Kombination wird immer Euer Schicksal bestimmen.«
»Und leider kann ich sie nicht ändern!« Eine ganz schlichte Aussage, die sie als Wahrheit erkannte - eine, die ihr nicht gefiel, aber die sie im Grunde schon lange akzeptiert hatte.
»Nein.« Er ließ sie nicht aus den Augen. »Aber Ihr könnt eines machen - die Beste der Möglichkeiten, die sich Euch bietet, wählen.«
Was sollte sie hier tun?
Sie blinzelte, holte Luft, gestattete sich, ein wenig zu phantasieren, zu spekulieren. »Ihr wollt damit sagen, wenn ich Euch akzeptiere, werdet Ihr mein Ritter, werdet mich vor den anderen beschützen, sogar vor meinem Vormund.«
Seine Augen waren sehr blau. » Mignonne , wenn Ihr die Meine wärt, würde ich Euch mit meinem Leben beschützen!«
Das sagte er nicht einfach so dahin.
Mademoiselle la Comtesse war sich bewusst, dass er die Wahrheit sprach. Und fragte sich, da sie jetzt vor der Entscheidung stand, ob es tatsächlich keine anderen Möglichkeiten gäbe.
»Die einzige Freiheit, die Ihr je kennen lernen werdet, mignonne, bietet sich Euch unter dem Schutz eines mächtigen Mannes.«
Er hatte, wieder einmal, ihre Gedanken gelesen, ihre Augen, ihre Seele. »Woher soll ich wissen, dass Ihr nicht versuchen werdet, mich so zu benutzen wie er - mit meiner Zukunft spielen, meinem Leben, als wären sie Euer Besitz, über den Ihr nach Lust und Laune verfügen könnt?«
Ihre Worte kamen ohne Nachdenken oder Zögern, seine Antwort erfolgte genauso rasch.
»Ich verspreche Euch hiermit, dass ich das nicht werde! Aber absolut sicher könnt Ihr Euch nie sein. Ihr könnt nur vertrauen und darauf setzen, dass Euer Vertrauen geehrt wird. Aber in dieser Angelegenheit solltet Ihr nicht abstreiten, dass Ihr mir, zumindest auf einer gewissen Ebene, schon vertraut.« Er sah sie direkt an. »Andernfalls wärt Ihr nicht hier.«
Auch das stimmte. Sie vertraute ihm, Fabien dagegen vertraute sie überhaupt nicht. Wie sie da so auf seinen Knien balancierte, Gesicht gegenüber Gesicht, Blick zu Blick, wusste Helena, dass sie von einem Meister manipuliert wurde. Bis jetzt war jede Minute ihres Zusammenseins inszeniert worden, um nicht nur ihr Vertrauen, sondern auch ihren Glauben an seine ehrlichen Absichten zu wecken.
Und unter all dem schwelte ihr Verlangen nach ihm, die sexuelle Anziehung, die vom ersten Moment an, in dem sie sich vor all den Jahren begegnet waren, aufgelodert war.
Er versuchte keineswegs, das zu kaschieren, dessen Existenz zu leugnen, einen Schleier über diesen Teil ihrer Beziehung zu werfen.
»Wenn ich bereit wäre …« Helena hielt inne, suchte in seinen Augen, dann
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