Verhext: Roman (German Edition)

Gedanken im äußeren Geist. Ich möchte, dass du deine Barrieren gerade so flexibel machst, dass du die Person findest, zu der diese beiden Süßen da gehören.«
    Lauren runzelte die Stirn. »Das kommt mir ein bisschen indiskret vor. Wie stelle ich es an, dass ich nicht mehr sehe, als ich wissen will oder als mein Gegenüber mir mitteilen mag?«
    »Unser Geist besteht aus mehreren Schichten. Unsere privaten Gedanken halten wir alle gut versteckt. In der äußeren Schicht finden sich hingegen fast immer Informationen, die wir gerne mit anderen Menschen teilen. Du
musst respektvoll sein  – gelegentlich triffst du auf einen Geist, bei dem die Schichten nicht sehr gut ausgebildet sind. Oder der Inhalt handelt von dir. Dann musst du dich zurückziehen, es sei denn, du hast einen guten Grund, es nicht zu tun.«
    »Das hört sich nicht an, als wäre es entweder schwarz oder weiß.«
    »Das ist es auch nicht. Das sind moralische Fragen selten, wenn es um die Nutzung von Macht geht. Bei Kindern gibt es konkretere Regeln, aber du bist eine erwachsene Frau, du musst deine eigenen Regeln finden. Hast du schon ein Elternteil der beiden Kleinen gefunden?«
    »Sollte ich das etwa parallel zu unserem Gespräch tun?«
    Jennie lachte. »Nicht wirklich, aber es wäre sehr beeindruckend gewesen. Versuch jetzt mal einen leichten Scan.«
    Lauren blieb stehen und wirkte so auf ihre Kuppel ein, dass ein paar wenige Gedanken sie durchdringen konnten. Der Mann vom Käsestand machte sich Sorgen, dass ihm die Probierhäppchen ausgehen könnten.
    Jemand war sehr unzufrieden, dass seine Mutter Brokkoli kaufte, doch sie konnte nicht sagen, wer. Es war schwer, das, was ihr Geist wahrnahm, mit dem in Verbindung zu bringen, was ihre Augen sahen.
    Jetzt hatte sie ihn. Es war der kleine Junge mit den hellgrünen Crocs. Sie glitt leicht über den Geist seiner Mutter und lächelte. Den Brokkoli hatte sie nicht für ihn gekauft  – stattdessen würde er Möhren zum Abendessen bekommen.
    Gut, sagte Jennies Stimme in ihrem Kopf. Jetzt versuch mal, ob du die Laune des Jungen ein kleines bisschen aufhellen
kannst. Mit einem regenbogenfarbenen Faden von ihrer Kuppel schickte Lauren einen Gedanken zum äußeren Geist des Jungen und freute sich über ihren kleinen Sieg, als er sich zu seiner Mutter umwandte und um Möhren zum Abendessen bat.
    »Sehr gut gemacht, Lauren. Die meisten Schüler hätten versucht, seine Gefühle zu verändern. Das ist sehr viel aufwändiger und ein sehr viel größerer Eingriff, als nur einen kleinen Gedanken zu schicken. Das Ergebnis ist dasselbe, aber die Methode der Machtanwendung ist sehr viel sanfter. Ich hatte diese Aufgabe eigentlich erst für später am heutigen Tag geplant, aber einem kleinen Jungen, der keinen Brokkoli mag, kann ich nie widerstehen.«
    Nachdenklich betrachtete Lauren das Kind, das jetzt fröhlich neben seiner Mutter herhüpfte. »Das fühlte sich wirklich gut an. Ich könnte mir vorstellen, dass man süchtig danach wird. Wann weiß man, dass es in Ordnung ist zu intervenieren?«
    »Das ist noch so eine Sache, die du für dich selbst herausfinden musst. Manche Mentalhexen setzen ihre Kräfte sehr sparsam ein, um die Gedanken anderer zu beeinflussen. Ich neige eher dazu, eine solche Einflussnahme zu vermeiden. Ich wäre zu ihnen gegangen, hätte eine Unterhaltung mit der Mutter angefangen und den kleinen Jungen auf diese Weise aufgemuntert. Für mich ist Macht nur ein weiteres Instrument für die zufälligen und weniger zufälligen guten Taten, die unsere Welt ein bisschen besser machen können. Die Entscheidung, wann man eingreifen soll, kann schwierig sein, aber ich glaube, dass
es Macht nicht ohne Grund gibt und dass sie dazu bestimmt ist, genutzt zu werden. Du musst das für dich richtige Gleichgewicht finden, eines, das erfüllend ist, ohne dass du dich verausgabst.«
    Das war die Frau, die einige der berühmtesten Porträtfotos der Welt aufgenommen hatte, dachte Lauren. Sie hatte ihre Macht genutzt und damit etwas bewegt. Darüber würde sie sich später noch den Kopf zerbrechen.
    Sie fuhr mit ihrem Scan fort, auf der Suche nach den Eltern des violetthaarigen Duos. Die wunderschöne Frau an dem Stand mit den Henna-Tattoos war fürchterlich gelangweilt von dem Typ, der gerade auf sie einredete. Dieser wiederum hoffte, sie so bald wie möglich nackt zu sehen. Lauren errötete und zog sich aus seinen Gedanken zurück. Viel Glück dabei, mein Freund .
    Es waren sehr viele Eltern auf dem Markt