Verhext
einen anderen Geliebten hatte?« fragte Iphiginia ruhig.
»Sie verlor das Baby einen Monat nach unserer Hochzeit. Ich wäre beinahe verrückt geworden. Ich hatte keine Ahnung, was mit ihr geschah. Ich dachte, sie würde sterben.«
»Gütiger Himmel.«
»Ich rief den Arzt. Als alles vorbei war, sagte er mir, was passiert war. Er wollte mich beruhigen. Natürlich nahm er an, daß ich der Vater wäre und wir wegen des Babys so überstürzt geheiratet hätten. Er klopfte mir auf die Schulter und sagte, daß wir schon bald ein anderes Baby bekommen würden.«
»Und du hast ihm nichts gesagt?«
Marcus verzog das Gesicht. »Natürlich nicht. Welcher Mann würde schon zugeben, daß er derart hintergangen worden ist? Und dann war da schließlich noch Nora. Sie war meine Frau.«
»Und du hattest das Gefühl, sie beschützen zu müssen, nicht wahr?« fragte Iphiginia.
Marcus zuckte mit den Schultern und schwieg.
»Du hattest dich bereits seit Jahren um deinen Bruder gekümmert. Es war demnach vollkommen natürlich für dich, einen Menschen, der jünger und schwächer war als du, zu schützen. Aber was sagte Nora zu alledem?«
»Als ich sie mit der Wahrheit konfrontierte, weinte sie wieder. Dann brach sie zusammen und gestand mir die ganze schmutzige Geschichte. In London war sie von einem ihrer Verehrer verführt worden, einem jungen Draufgänger, der eine reiche Erbin wollte und sie demnach niemals geheiratet hätte. Aber mit seiner Eroberung hat er sogar noch geprahlt.«
»Die arme Nora.«
»Die Gerüchte haben sie ruiniert. Es bestand nicht mehr die ge-ringste Chance auf eine Heirat. Ihre Familie hatte nicht die gesellschaftliche Stellung, die erforderlich gewesen wäre, um den Kerl zu einer Heirat zu zwingen.«
»Also haben sie sie wieder nach Hause gebracht und dafür gesorgt, daß du sie nahmst?«
»Sie gingen davon aus, daß der Tölpel von nebenan wahrscheinlich niemals die Wahrheit herausfinden würde.« Marcus starrte erneut auf seine Hände. »Und sie hatten recht. Ich frage mich heute noch manchmal, ob ich jemals gemerkt hätte, was für ein Narr ich gewesen war, wenn Nora das Baby nicht verloren hätte.«
»Du hättest doch sicher etwas gemerkt, wenn sie das Kind mehrere Wochen zu früh bekommen hätte.«
»Das bezweifle ich. Ich sagte dir doch bereits, ich hatte keine Ahnung von solchen Dingen. Man hätte mir erklärt, daß das Kind zu früh geboren sei, und ich hätte es glauben wollen.«
»Es heißt, Nora sei am Fieber gestorben?«
»Ja. Sechs Monate nachdem sie das Kind verloren hatte.«
»Das Duell«, flüsterte Iphiginia. »Darum ging es bei dem Duell, nicht wahr? Kurz nach Noras Tod bist du nach London gefahren und hast den Schuft, der sie verführt hat, herausgefordert.«
»Er meinte, ich sei ein Narr, was doppelt stimmte. Er wollte wissen, was für einen Sinn das Duell noch machen sollte, nun, da die Schlampe ja inzwischen tot sei. Ich hatte keine Antwort darauf.«
»Du hast die Ehre deiner Frau verteidigt, obwohl sie dich hintergangen hat. Obwohl sie gar nicht mehr lebte.« Iphiginia spürte, wie ihr eine Träne die Wange hinabkullerte. »Marcus, das ist typisch für dich.«
Marcus runzelte die Stirn. »Verdammt. Heulst du etwa?«
»Nein.« Sie schniefte leise.
»Das will ich auch nicht hoffen. Die Sache ist es nicht wert.«
»O doch, Marcus. Du und Nora, ihr tut mir beide leid. Sie muß vollkommen außer sich gewesen sein vor Angst, als sie feststellte, daß sie ruiniert und noch dazu schwanger war.«
»Ja.«
»Sie war jung und verzweifelt. Sie war ein unschuldiges Mädchen, das sich verführen ließ. Sie hatte eine der strengsten Regeln der Gesellschaft mißachtet. Sie wußte, daß sie einen schrecklichen Preis dafür würde zahlen müssen. Also hat sie sich an dich, ihren Jugendfreund, gewandt.«
»Die Sache ist die«, sagte Marcus. »Ich wollte sie so sehr, daß ich sie auch so genommen hätte. Ich hätte ihr meinen Namen gegeben und das Baby als mein eigenes anerkannt. Wenn sie mich nur nicht getäuscht hätte. Das war die Sache, die ich ihr niemals verzeihen konnte.«
»Weil du jedesmal, wenn du an diese Täuschung denkst, das Gefühl hast, du hättest dich zum Narren gemacht.«
»Ich habe mich zum Narren gemacht.«
Iphiginia spürte, wie sich ihr Magen schmerzlich zusammenzog. Auch sie hatte ihn getäuscht. Zweifellos nahm er an, daß er sich auch ihr gegenüber zum Narren gemacht hatte.
Sie streckte die Hand aus und legte sie auf sein Bein. »Nora hat dich nicht zum
Weitere Kostenlose Bücher