Verhext
weiß«, murmelte Hannah.
»Hör mir zu, Hannah. Ich bin froh, daß du ihn erschossen hast. Hörst du mich? Ich wünschte nur, ich hätte es für dich tun können. Wenn ich dich damals schon gekannt hätte, hätte ich ihn getötet.«
»Edward.« Hannah schmiegte sich enger an ihn.
»Ich habe dir doch gesagt, Hannah, daß es nichts auf dieser Welt gibt, was uns auseinanderbringen kann, außer, daß du einen anderen liebst.«
»Niemals«, schwor Hannah. »Du bist der einzige Mann, den ich jemals geliebt habe. Der einzige, den ich jemals lieben werde.«
Sands strich ihr über das Haar. »Dann wirst du mir also von nun an vertrauen?«
»Ja.« In Hannahs Stimme schwangen Erleichterung und Freude. »Es tut mir so leid, daß ich es dir nicht schon viel früher erzählt habe.«
Sands wandte sich an Marcus. »Anscheinend stehe ich in Ihrer Schuld, Sir. Nicht nur, weil Sie Hannah in jener Nacht geholfen haben, sondern weil Sie sie auch noch vor sämtlichen Fragen und Verdächtigungen geschützt haben.«
Marcus zuckte mit den Schultern. »Nicht der Rede wert.« Iphiginia lächelte stolz. »Das ist der Masters, wie ich ihn kenne, Lord Sands. Durch und durch ein Gentleman.«
»Es war Hannah, die mich zu einem Gentleman gemacht hat.« Marcus streckte die Beine aus und lehnte sich auf dem Sitz in seiner Kutsche zurück. Er starrte aus dem Fenster in die Dunkelheit und dachte an die Vergangenheit. »Sie hat mir alles beigebracht, was ich wissen mußte, um mich in der besseren Gesellschaft bewegen zu können.«
»Aus einem Kieselstein kann man keinen Diamanten machen«, sagte Iphiginia. »Vielleicht hat Lady Sands dir den letzten gesellschaftlichen Schliff verpaßt, aber ein gewisser Instinkt für gutes Benehmen muß dir angeboren sein.«
Marcus warf ihr einen amüsierten Blick zu. »Ich wurde als Bauer geboren, Iphiginia.«
Sie winkte ab. »Was hat denn das damit zu tun? Du wärst auch dann ein echter Gentleman, wenn du deinen Lebensunterhalt als Fischer oder Gemüseverkäufer verdienen würdest.«
Ihr naiver Glaube an ihn war einfach rührend. Marcus versuchte, seine Bewegtheit hinter einer spöttischen Maske zu verbergen. »Wie demokratisch du doch bist. Du klingst wie eine Amerikanerin.«
»Was mich betrifft, so gehört der Titel eines Gentleman denjenigen, die ihn verdient haben, und nicht denen, die zufällig in die richtige Familie hineingeboren worden sind.«
»Das sehen nur wenige so.«
Sie verzog den Mund zu einem Lächeln. »Ich bilde mir meine Meinung im allgemeinen selbst, statt mich einfach der Mehrheit anzuschließen.«
Marcus grinste. »Das ist mir durchaus bewußt. Dies ist eine deiner liebenswerten Eigenschaften.«
»Nur ein Mann, der sich ebenfalls sein eigenes Urteil bildet, kann eine solche Eigenschaft bei einer Frau zu schätzen wissen.«
»Gewiß.« Marcus starrte erneut hinaus in die Dunkelheit. Es war wirklich eine Erleichterung, daß er endlich von der Last befreit war, Hannahs Geheimnis allein mit sich herumtragen zu müssen. Normalerweise störte ihn so etwas nicht, aber es hatte ihm mißfallen, Iphiginia die Wahrheit verschweigen zu müssen. Sie war die erste Frau, der gegenüber er vollkommen offen sein wollte.
Es war eine völlig neue Erfahrung für ihn, plötzlich eine Vertraute zu haben. Ein billiges, doch zugleich unermeßliches Vergnügen.
»Marcus?«
»Ja?«
»Was sollen wir jetzt machen? Mrs. Wycherley ist tot. Sie kann also die Briefe nicht verschickt haben. Aber wer dann?«
Marcus wandte sich wieder dem momentanen Problem zu. »Ich weiß es noch nicht, aber mir kam der Gedanke, daß derjenige, der Mrs. Wycherley getötet hat, die Liste ihrer Erpressungsopfer gefunden haben könnte.«
»Und dieser Mensch hat beschlossen, ihre Arbeit fortzuführen?« fragte Iphiginia.
»Das wäre zumindest denkbar.«
Iphiginia runzelte nachdenklich die Stirn. »Das ergibt keinen Sinn. Uns heute nacht alle zur gleichen Zeit hierherzubestellen bedeutet ein gewisses Risiko. Hannah hat ihrem Ehemann alles gestanden. Sie kann also schon mal nicht mehr erpreßt werden.«
»Sowohl du als auch Sands hättet Hannah und mich heute nacht in einer durchaus kompromittierenden Situation überraschen können, Iphiginia.«
»Ja, aber ich wußte sofort, daß du sie niemals verführt hättest. Und Sands hat das auch nicht lange geglaubt.«
»Niemand«, sagte Marcus langsam, »hätte vorhersehen können, wie diese Begegnung endet, am allerwenigsten die Person, die mit den Erpressungen fortfahren
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