Verhext
befindet.«
Iphiginia blinzelte. »Sicher ist Dr. Hardstaff der Eigentümer oder Mieter des Gebäudes.«
»Ich glaube, es ist sicher zu sagen, daß Hardstaff höchstwahrscheinlich irgendein Pseudonym ist«, stellte Marcus trocken fest. »Zumindest ist es ein nicht gerade gebräuchlicher Name.«
Iphiginia runzelte die Stirn. »Er ist wirklich ungewöhnlich.«
»Er paßt ein bißchen zu gut zu seinem Arbeitsfeld.«
Iphiginia blickte verwirrt auf. »Hardstaff, harte Sachen. Ich verstehe, was du meinst.«
»Auf jeden Fall finde ich, daß es an der Zeit ist, ein bißchen tiefer zu bohren.«
»Und was hoffst du zu finden?« fragte sie.
»Ich weiß noch nicht.«
Iphiginia schwieg einen Augenblick. Marcus nahm an, daß sie über die Ereignisse des Abends nachdachte. Er selbst überlegte gerade, welche Anweisungen er Barclay am nächsten Morgen erteilen sollte, als sie seine Gedanken unterbrach.
»Marcus?«
»Ja?«
»Fandest du auch, daß die Göttin der Manneskraft, die rechts hinter dem Vorhang stand, ein bißchen zu dünn war?«
Marcus brach in brüllendes Gelächter aus. Er streckte die Hand aus und zog Iphiginia in seine Arme.
»Nicht im geringsten. Ich glaube, daß sie genau die Figur hatte, die ich brauche, um meine Manneskraft zu erhalten.«
Sie fanden Zoe auf dem Ball bei den Crandals. Sie und Lord Otis verließen gerade mit vom Walzer geröteten Wangen die Tanzfläche.
»Abend, Iphiginia. Masters.« Otis’ Augenbrauen hüpften. »Ich wußte gar nicht, daß ihr heute abend kommen wolltet.«
Iphiginia blickte Zoe an. »Wir müssen sofort mit euch sprechen.«
Zoes Lächeln wich einer besorgten Miene. »Was ist los? Ist etwas nicht in Ordnung?«
»Wer auch immer Mrs. Wycherley ermordet hat, scheint einen der Informationen über ihre Opfer gefunden zu haben und sich da-
mit zu amüsieren, diese Geheimnisse auszuplaudern«, sagte Iphiginia leise.
»O mein Gott.« Zoe griff sich an die Kehle.
Otis nahm eilig ihren Arm, um sie zu stützen. »Beruhige dich, meine Liebe. Damit werden wir schon fertig.«
Jetzt mischte auch Marcus sich ein. »Lassen Sie uns in den Garten gehen, wo wir ungestört reden können. Wissen Sie, es gibt nur eine einzige Lösung.«
»Wir müssen Maryanne die Wahrheit sagen.« Otis’ Barthaare zuckten. »Das habe ich schon vor Wochen zu Zoe gesagt, als alles anfing. Ich habe ihr gesagt, daß sie irgendwann ja einmal erfahren muß, wer ihr Vater ist.«
»Unsere arme Maryanne«, wisperte Zoe mit bebender Stimme. »Was wird sie sagen? Was wird Sheffield sagen? Was wird aus ihren Hochzeitsplänen?«
»Wir werden es überstehen, meine Liebe«, murmelte Otis, während er sie zur Tür führte. »Wir wußten von Anfang an, daß wir es ihr eines Tages würden sagen müssen.«
Anderthalb Stunden später, kurz vor halb drei, betrat Marcus sein Laboratorium, schenkte sich ein Glas Brandy ein und setzte sich auf den Stuhl hinter seinem Arbeitstisch.
Er sah sich im trüben Licht der einzelnen Lampe um, die er angezündet hatte. Er mußte nachdenken, und das konnte er am besten in diesem Zimmer.
Er legte die Füße auf den Tisch, lehnte sich zurück und nippte an seinem Brandy. Er hatte die Angewohnheit, seine Gedanken ein paar Minuten lang ziellos schweifen zu lassen, ehe er sich zu konzentrieren begann. Diese Technik half ihm immer, seine Aufmerksamkeit ganz auf eine Sache zu lenken.
Er dachte kurz über das Gespräch im Garten der Crandals nach. Er wußte, daß Iphiginia sich um ihre Tante Sorgen machte, aber Otis hatte recht zufrieden gewirkt. Marcus dachte, daß er ihn verstand.
Nachdem er achtzehn Jahre lang gezwungen gewesen war, die Rolle des väterlichen Freundes zu spielen, wäre er nun endlich in der Lage, seine Tochter anzuerkennen.
Am Ende der Diskussion hatte Zoe sich in das Unvermeidliche gefügt, vielleicht war auch sie in gewisser Weise erleichtert, daß das Geheimnis endlich gelüftet wurde.
Blieb nur noch abzuwarten, wie Maryanne auf die Neuigkeit reagieren würde, daß Otis ihr leiblicher Vater war. Ihre Hochzeitspläne waren eindeutig in Gefahr, aber wer weiß, wie alles ausgehen würde? Sheffield war ein netter junger Mann, der wußte, was er wollte. Wenn er Maryanne wirklich liebte, dann würden ihn die Gerüchte nicht weiter stören.
Wenn er Maryanne wirklich liebte?
»Verdammt.« Marcus verzog angewidert das Gesicht. Allmählich fing er an, wie einer dieser idiotischen romantischen Dichter zu denken. Offenbar hatte er zuviel Zeit mit seinem Bruder und mit
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