Verhext
getrocknet, ohne weiter aufzufallen.
Iphiginia starrte lange Zeit reglos auf den Wachs. Ein Mensch, der alles und jeden in der besseren Gesellschaft kennt.
In diesem Moment fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.
»Sind Sie auch sicher, daß diese Fakten stimmen, Barclay?« Marcus beugte sich über seinen Schreibtisch und zwang sich, ruhig zu bleiben. Wissenschaftliche Nachforschungen erforderten immer ein Höchstmaß an Vorsicht und Sorgfalt. Er durfte nicht zulassen, daß seine Gefühle und seine Begeisterung ihn falsche Schlüsse ziehen ließen.
Er hatte Iphiginia erlaubt, ihn dazu zu bringen, ein paar der Regeln aufzugeben, die bis dahin sein Leben bestimmt hatten. Das hieß jedoch nicht, daß er die vernünftigen Regeln über Bord geworfen hatte, nach denen wissenschaftliche Arbeit funktionierte.
Trotzdem spürte Marcus die bekannte Erregung und Zufriedenheit, die immer dann in ihm aufwallte, wenn er eine wichtige Entdeckung gemacht hatte. Es ergab alles einen Sinn. Es war alles vollkommen logisch. Dies war das Teil des Puzzles gewesen, das ihm bisher gefehlt hatte.
Er konnte es kaum erwarten, Iphiginia davon zu berichten.
»Ja, ja, vollkommen sicher.« Barclay blätterte in seinen Papieren und blickte noch einmal auf seine Notizen. »Der echte Dr. Hardstaff, dessen bürgerlicher Name William Burn war, hat das Gebäude an dieselbe Person verkauft, die auch die Grabstätte auf dem Friedhof in Reeding errichten ließ. Der Name des Mannes ist H.H. Eaton.«
»Und er ist der Sohn der Elizabeth Eaton, die dort begraben ist?«
»Ja.« Barclay blickte auf. »Er scheint seinen Nachnamen fallengelassen zu haben, als er vor zwei Jahren in London in Erscheinung trat. Darum habe ich so lange gebraucht, um die Verbindung herauszufinden. In der Tat, wenn Sie mir nicht vorgeschlagen hätten, mich nach dem Besitzer des Museums zu erkundigen, wäre ich wohl nie dahintergekommen.«
Barclays Ausführungen wurden von einem Klopfen unterbrochen. Marcus runzelte ungeduldig die Stirn. »Herein.«
Lovelace öffnete die Tür. Hinter ihm hüpfte Iphiginia auf und ab. Wie immer trug sie ein blütenweißes Kleid und einen blumengeschmückten Strohhut.
»Mrs. Bright, Sir«, sagte Lovelace, als würde sich Iphiginia nicht direkt hinter ihm wie eine Verrückte gebärden, um Marcus’ Aufmerksamkeit zu erregen.
Marcus grinste. »Schicken Sie sie herein, Lovelace.«
Lovelace trat zur Seite, und Iphiginia stürzte an ihm vorbei in das Zimmer. In der Hand hielt sie ein schweres, ledergebundenes Buch.
»Marcus, du wirst niemals glauben, was passiert ist. Ich glaube, ich weiß, wer der Erpresser ist. Ich habe etwas schwarzes Wachs auf dem Buch gefunden, das ich -«
»Herbert Hoyt geliehen habe?« fragte Marcus höflich.
»Großer Gott.« Iphiginia blieb abrupt stehen und starrte ihn verblüfft an. »Wie hast du das erraten?«
»Ich rate niemals, meine Liebe. Ich stelle wissenschaftliche Hypothesen auf.«
Es war ziemlich dunkel in der engen Gasse. Das Mondlicht reichte gerade aus, um das Hinterfenster des Hauses in der Thurley Street Nummer zwei zu erkennen. Marcus wog das Eisenstück, das er mitgebracht hatte, in der Hand und schob es vorsichtig zwischen das Fenster und den Sims.
»Sei vorsichtig«, flüsterte Iphiginia. Sie blickte über die Schulter, um sicherzugehen, daß niemand sie beobachtete.
»Ich bin vorsichtig.«
»Marcus, bist du mir böse?«
»Seltsamerweise hatte ich eigentlich nicht vorgehabt, meine Hochzeitsnacht damit zu verbringen, in Hoyts Wohnung einzubrechen.« Mit einem wohlüberlegten Ruck brach Marcus das Fenster auf. Glücklicherweise gab es problemlos nach. »Ich hatte mir eigentlich eine andere Art der Unterhaltung vorgestellt.«
»Beeil dich.« Iphiginia schob die Kapuze ihres Umhangs zurück. Die Messinglaterne, die sie mitgebracht hatte, um sie im Haus anzuzünden, schimmerte im Mondlicht. »Ich bin sicher, daß wir das schwarze Wachs und das Phönix-Siegel irgendwo finden werden.«
»Das Ganze ist vollkommene Zeitverschwendung.« Marcus schwang ein Bein über den Fenstersims. »Wir wissen bereits, daß er der Erpresser ist.«
»Aber wir brauchen Beweise. Das Wachs und das Siegel werden sie uns liefern.«
Marcus schwang auch das andere Bein über den Sims und ließ sich auf der anderen Seite fallen. »Wir tun das nicht, um irgendwelche Beweise zu bekommen. Wir tun das nur, weil du mir beweisen willst, daß deine Hypothese genauso gut war wie meine.«
»Sie ist gut. Ich weiß, daß ich den
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