Verhext
wollen, daß heute abend die ganze Stadt von unserer kleinen Auseinandersetzung erfährt.«
»Warum sollte mich das stören? Es spricht sowieso schon die ganze Stadt über uns, Mylord.«
»Glauben Sie mir, die Gerüchte können noch erheblich bösartiger werden als sie es bereits sind. Und wenn Sie darauf bestehen, sich in aller Öffentlichkeit mit mir zu streiten, dann wird das bestimmt passieren.«
Iphiginia errötete vor Zorn. »Soll das eine Drohung sein, Masters?«
»Allerdings. Wenn Sie nicht wenigstens den Anschein aufrechterhalten, eine Lady zu sein, dann werde ich mich auch nicht wie ein Gentleman benehmen. Ich schwöre Ihnen, wenn Sie versuchen zu gehen, werde ich Sie über meine Schulter legen und irgendwohin schleppen, wo wir unsere Unterhaltung ohne Zuhörer fortführen können.«
Iphiginia kochte. »Das würden Sie nicht wagen.«
»Wollen wir wetten, Iphiginia?« fragte er mit viel zu sanfter Stimme. »Es ist eine Sache, eine ohnmächtige Dame aus dem Ballsaal der Fenwicks zu tragen, aber es ist etwas gänzlich anderes, Sie wie einen Sack Kohle über die Straße zu hieven.«
Iphiginia überlegte kurz. Sie war sich der wachsenden Zahl neugieriger Blicke nur allzu bewußt, die in ihre Richtung gingen. Mehr als ein Kopf hatte sich bereits zu ihnen herumgedreht. Und mehr als ein Ohr versuchte, unauffällig den faszinierenden Wortwechsel zwischen Masters und seiner neuen Mätresse zu belauschen.
Sein herausfordernd gerecktes Kinn und sein zusammengepreßter Mund zeigten deutlich, daß er alles andere als gutgelaunt war. Offenbar war er durchaus bereit, die eleganten Besucher der Pall Mall mit einer peinlichen Auseinandersetzung zu unterhalten, wenn Iphiginia sich seinen Wünschen nicht beugte.
»Also gut, Mylord.« Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und legte ihre behandschuhten Fingerspitzen leicht auf seinen Arm. »Wenn Sie darauf bestehen, den bösartigen Troll zu spielen, werde ich mich Ihnen fügen.«
»Ein weiser Entschluß. Ich habe schon oft die Rolle des Trolls spielen müssen, und ich versichere Ihnen, daß ich diese Rolle hervorragend beherrsche.«
»Daran habe ich nicht den geringsten Zweifel. Aber ich versichere Ihnen, Sir, daß ich es während meiner Reise auf dem Kontinent im letzten Jahr nicht ein einziges Mal mit einem derart unhöflichen Kerl wie Ihnen zu tun hatte. Der widerliche kleine Straßendieb, der uns in Rom überfallen hat, hatte bessere Manieren als Sie.«
»Vielleicht habe ich ja eines Tages die Gelegenheit, bei ihm Unterricht zu nehmen. Es heißt, reisen bildet. Kommen Sie, wir haben genug Aufmerksamkeit erregt.« Marcus nahm sie fest am Arm und setzte sich erneut in Bewegung.
»Die Leute starren uns an.«
»Man sollte meinen, daß wir uns inzwischen daran gewöhnt hätten. Sagen Sie, weshalb sollte ich nicht zu dem Schluß kommen, daß Sie die Erpresserin sind?«
»Erzählen Sie mir erst, wie Sie darauf gekommen sind, daß ich es sein könnte.«
Marcus’ Blick war unergründlich. »Sie sind eine äußerst clevere
Frau. Sie haben sich so ausgiebig mit mir beschäftigt, daß Sie in der Lage waren, die gesamte bessere Gesellschaft glauben zu machen, Sie seien meine Mätresse.«
»Wir alle haben irgendwelche Talente.«
»Aber Ihre Talente zeigen mir, daß Sie sich außer mit meinem auch mit dem Leben anderer Menschen hätten beschäftigen können, wobei Sie dann genug herausgefunden haben könnten, um ein paar von ihnen zu erpressen.«
Iphiginia rang nach Luft. »Wie zum Beispiel Ihre Freundin?«
»Genau.«
»So etwas würde ich niemals tun.« Iphiginia merkte, daß sie nicht nur wütend, sondern obendrein verletzt war, ohne genau zu wissen, weshalb. Marcus’ beunruhigende Schlußfolgerungen waren unter den gegebenen Umständen durchaus vernünftig. Trotzdem schmerzten sie. »Wenn Sie mich besser kennen würden, Mylord, dann würden Sie eine derartige Anschuldigung gegen mich nicht erheben.«
»Ah, aber ich kenne Sie so gut wie gar nicht, nicht wahr? Nicht halb so gut, wie Sie mich zu kennen scheinen. Und das, Madam, beunruhigt mich allmählich.«
»Ich weiß nicht, wie ich Sie von meiner Unschuld überzeugen soll, aber selbst wenn ich es wüßte, würde ich mich bestimmt nicht dazu herablassen, es auch nur zu versuchen.«
»Dann haben wir ein kleines Problem, meine Liebe.« Marcus nickte einem Bekannten zu, der von der Tür eines Tabakladens herübergrüßte.
Iphiginia gab vor, sich ein paar Handschuhe in einem der Schaufenster anzusehen. Sie
Weitere Kostenlose Bücher