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Verico Target

Verico Target

Titel: Verico Target Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Gelbe Krawatte. Er sah nicht aus wie ein Vagabund: nur
nachlässig. Ein Mann, der schon über dreißig war und
immer noch Reporter mit dem Aufgabengebiet pensionierte Lehrer und
heimkehrende Hausfrauen bei einer drittklassigen ländlichen
Wochenzeitung. In der Hand trug er einen billigen Kassettenrecorder
und einen gelben Notizblock mit Metallclip.
    Um 9 Uhr 50 betrat er vom Parkplatz aus Lederers Gebäude. Der
Sicherheitsmann in der Halle musterte ihn eingehend.
    »Dan Anderson«, sagte Cavanaugh forsch, »Termin bei
Frau Doktor Sandra Ormandy. Ich bin Reporter.« Die kleine
Pause nach dem letzten Wort unterstrich den Eigendünkel.
»Sie erwartet mich.«
    »Tragen Sie sich hier ein. Es kommt gleich jemand herunter,
der Sie hinführt«, sagte der Mann und fuhr fort, Cavanaughs
Erscheinung zu studieren.
    Cavanaugh ignorierte ihn. Er spielte für ein unsichtbares
Publikum, nicht für diese ausgestopfte Uniform. Der Respekt vor
braven lokalen Gesetzeshütern, den Felders ihm beigebracht
hatte, dehnte sich nicht auf Mietbullen aus.
    Ein paar Minuten später erschien ein zerfahren wirkendes
Mädchen in einem weißen Labormantel und führte ihn in
den zweiten Stock. Sie war zweifellos zu jung, um Doktor Ormandy zu
sein. Auf der Treppe – entweder gab es keinen Fahrstuhl hier,
oder das Mädchen hatte vergessen, ihn dem Besucher anzubieten
– nieste Cavanaugh.
    Das Mädchen drehte sich um und sah ihn an.
    »Keine Erkältung«, sagte er rasch im Gedenken an
das Staatliche Institut für Gesundheitswesen, »ich bin nur
allergisch gegen Nagetiere. Es werden doch keine Ratten in dem Raum
sein, in den wir gehen, oder?«
    »Nein.«
    »Gut, gut. Weil ich nämlich allergisch dagegen bin. Wie
ich schon sagte.« Das Mädchen wandte sich ab und
schüttelte leicht den Kopf.
    In einem kleinen Vorraum, der zu einem größeren Labor
führte, ließ sie ihn allein. Das winzige Zimmerchen war
vollgestopft mit Geräten, Computern, Monitoren, Tischen,
Stühlen, Glasgefäßen und einem Kühlschrank.
Keine Ratten. Kurz darauf trat Lederer ein, auch er in einen
weißen Labormantel gekleidet. Cavanaugh bemerkte sofort,
daß er hier, in seiner eigenen Domäne, eine
natürliche Autorität ausstrahlte, die nichts Aufgesetztes
an sich hatte.
    Er verzog keine Miene angesichts Cavanaughs Verkleidung.
»Also, Mister Cavanaugh, was müssen Sie mir so Wichtiges
zeigen?«
    »Das hier.« Er zog Ben Kozinskis Notizbuch hervor.
»Insbesondere die letzten Seiten. Lassen Sie sich Zeit, Doktor
Lederer. Sprechen Sie alles laut aus, von dem Sie denken, es
wäre von Nutzen. Wir benötigen unbedingt ein Bindeglied
zwischen Ben Kozinskis Arbeit und dem, was Verico Ihrer Meinung nach
in der Lage wäre zu produzieren. Es könnte sein, daß
Sie der einzige im ganzen Land sind, der hier eine Verbindung sehen
kann.« Er unterließ es hinzuzufügen, daß Julia
Garvey diese Verbindung gesehen hatte und nun tot war.
    »Ich habe Ihnen bereits erklärt«, sagte Lederer,
»daß ich keine Ahnung habe, was Verico tut oder nicht tut.
Ich war nie dort.«
    »Ja, Herr Doktor. Aber werfen Sie trotzdem einen Blick auf
diese Aufzeichnungen und sehen Sie selbst, ob sie Ihnen irgend etwas
sagen, das Sie willens wären, uns zu verraten.«
    Lederer begann mit der ersten Seite und verzog leicht das Gesicht.
Cavanaugh sah ihn erwartungsvoll an, aber Lederer blickte nicht auf.
Offensichtlich hatte er vor, alles zu lesen. Chronologisch.
Methodisch.
    Cavanaugh erhob sich von dem Stuhl, den Lederer ihm angeboten
hatte, und sah sich in dem kleinen Raum um.
    Auf einem Tisch stand ein Becherglas voll mit einer klaren
Flüssigkeit. Es sah aus wie Wasser. Ein Glasstab lehnte im Glas.
Cavanaugh nahm den Stab und rührte gedankenverloren in der
Flüssigkeit, ehe ihm klar wurde, daß er das vermutlich
nicht hätte tun sollen. Was, wenn es sich um ein folgenschweres
Experiment handelte? Er nahm die Finger von dem Glasstab, wobei er
den absurden Drang verspürte, seine Fingerabdrücke davon zu
entfernen.
    »Doktor Lederer, ich habe hier drinnen gerührt. Tut mir
leid.« Lieber Himmel, genauso hatte er sich in der
Biologiestunde gefühlt. Darum also die Drei im Zeugnis. Einsen
gab’s nur in Geschichte und Englisch.
    Lederer blickte auf und – lächelte doch
tatsächlich. »Spielt keine Rolle. Das ist ohnedies
Abfall.«
    »Was ist es?«
    »Wissen Sie das nicht?« Er trat zu Cavanaugh an den
Tisch, rührte die Flüssigkeit um und hob den Glasstab aus
dem Becher. Zu Cavanaughs Verblüffung war das

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