Verico Target
betrunken. »Du und ich und Charlie…
wir könnten sie da rausholen. Wir drei. Wie in alten
Zeiten.«
Wendell sah Charlie an. »Was hast du auf Lager?«
Charlie lachte. »Kommt nicht drauf an, was ich auf Lager
habe. Kommt drauf an, was ich beschaffen kann.«
»Aber das kostet Geld«, sagte Grady rasch. »Auch
für uns beide, natürlich. Aber du hast es ja, Wendell,
oder? Hast ja gearbeitet und jeden Dollar gespart. Du hast doch
genug, um Penny und David da rauszuholen, oder?«
»Und Saralinda«, sagte Wendell. Sein Magen schlingerte
wieder, wie vorhin an der Tür. »Und Saralinda.«
»Okay, und Saralinda«, nickte Grady. Seine Augen
glänzten.
»Okay«, rief Charlie und lachte.
Langsam fiel Wendell auf, daß jemand an die Tür
klopfte, geduldig, immer wieder. Lewis. Ach was, zum Teufel mit
Lewis! Lewis hatte rein gar nichts für ihn getan. Lewis und die
A.A. und der Anwalt und Peterson und die Medien und der Staat…
diese vielen beschissenen Postkarten, die er an die staatlichen
Stellen geschickt hatte! Rein gar nichts. Diese beiden würden ihm helfen! Diese beiden, denen war er nicht egal!
Diese beiden waren seine Freunde.
Wie in alten Zeiten.
»Okay«, sagte Wendell.
Auf
den Korridoren des Princess-Hotels war es nie ruhig, nicht ein
einzigesmal während der ganzen Nacht. Zumindest schien es Judy
so. Die Türen wurden aufgerissen und zugeschlagen. Es wurde
gestritten. Schwere Gegenstände fielen zu Boden – was
konnte um drei Uhr früh zu Boden fallen? Im Nachbarzimmer
schnarchte ein Mann so vernehmlich, als hätte er neben Judy im
Bett gelegen. Sie hörte alles, ehe sie schließlich um vier
Uhr früh in einen unruhigen Schlaf fiel.
Um sieben Uhr war sie wieder auf und zog sich an. Das Bad lag am
anderen Ende des Gangs, also ließ sie das Waschen ausfallen.
Draußen begann ein kalter, sonniger Donnerstagmorgen. Das
Münztelefon in der Hotelhalle war verdreckt und klebrig, aber
wenigstens nicht besetzt – wenn man von dem benutzten Kondom
absah, das Judy auf der schwarzen Ablage aus Plastik entdeckte.
»Kardinal John DeLessio-Schule, Direktionsbüro. Was kann
ich für Sie tun?«
»Ich muß mit Dan O’Brien sprechen. Sagen Sie ihm,
es ist dringend.«
»Ich weiß nicht, ob er schon im Haus ist«, sagte
die Stimme unschlüssig. »Handelt es sich um einen seiner
Schüler?«
»Nein. Und er ist im Haus. Versuchen Sie es mit dem
Lehrerzimmer. Bitte. Es ist dringend.«
»Einen Moment bitte.«
Judy wartete. Es dauerte nur kurz. »Hallo?«
»Daddy, hier spricht Judy. Sag bitte nichts, hör mir nur
zu. Als ich zu Thanksgiving die Druckfahnen deines Buches korrigierte
– erinnerst du dich? An dem Tag, als ich bei Tisch diese Szene
machte?«
»Natürlich erinnere ich mich. Judy…«
»Da stand etwas in deinem Buch über einen heiligen
Cadoc. Und über einen Wagen, ein Auto. Ich erinnere mich nicht
an die Einzelheiten. Wer war der heilige Cadoc?«
»Judy, bist du in Schwierigkeiten? Du klingst…«
»Antworte mir!«
Stille. Noch nie zuvor hatte sie so mit ihm geredet. Wütend
ja, sie hatte ihn sogar schon gelegentlich angebrüllt, weil
seine praxisferne Religiosität ihr so auf die Nerven fiel, aber
sie hatte noch nie so mit ihm gesprochen. In diesem autoritären
Tonfall.
»Cadoc ist ein Heiliger aus dem sechsten Jahrhundert, ein
Abt, der als keltischer Prinz geboren wurde und alle seine
Privilegien aufgab, um ein Kloster zu gründen. Manchmal wird der
Name auch Cado oder Cadaud geschrieben. Er ist ein minder wichtiger
Heiliger – es könnte sich bei ihm sogar um einen kompletten
Mythos handeln. Woran du dich erinnerst, das ist meine Geschichte
darüber, wie der Name verballhornt und zu Cadillac wurde. Das
ist der Name einer kleinen Stadt bei Albany, die ursprünglich
von katholischen Missionaren besiedelt und sowohl nach dem heiligen
Cadoc als nach Pere Cadaud, einem späteren Jesuitenpriester,
benannt wurde. Pere Cadaud war Missionar bei den Indianern und wurde
1697 von ihnen zu Tode gemartert. In den zwanziger Jahren stand dort
eine kleine Fabrik, die Autozubehör herstellte, und der Stadtrat
änderte den Namen. Was als Huldigung für ein
heiligmäßiges, dem Gebet geweihtes Leben begonnen hatte,
endete als Huldigung für den modernen Kommerz. Obwohl,
merkwürdig genug, der heilige Cadoc selbst… Judy, das ist
irrelevant. Bitte sag mir, was für Schwierigkeiten du hast. Ich
mache mir solche Sorgen. Liebes, was es auch ist, wir
können…«
Sie hörte ihm nicht zu.
Cadoc.
Sie sah die
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