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Verico Target

Verico Target

Titel: Verico Target Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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finden sein würde, und machte sich auf den
Weg zu Doktor Richard Stallman.
    Grove Street 56 war ein graues viktorianisches Haus. Die kahlen
Ahornbäume streckten traurig ihre aschefarbenen Äste gen
Himmel. Zwischen den Ästen funkelten eiskalt die Sterne. In der
Winterluft lag keinerlei Geruch.
    Auf den Stufen zur Veranda schimmerte Eis, und Cavanaugh hielt
sich mit seiner behandschuhten Rechten am Geländer fest; er
spürte das Blut in seinen Fingern pulsieren und das Adrenalin
durch seinen Körper jagen. Irgendwo in der Ferne bellte ein
Hund.
    Eine dickliche Frau öffnete die Tür, ohne auch nur die
Sicherheitskette vorgelegt zu lassen. Sie trug einen gesteppten
Großmutterschlafrock und blaue Pantoffeln. Ihr Gesicht war in
besorgte Falten gelegt.
    »Mrs. Stallman?«
    »Ja?«
    Er zeigte ihr seine Marke. »Robert Cavanaugh, FBI.
Entschuldigen Sie, wenn ich Sie zu dieser späten Stunde
störe, aber ich müßte Ihren Mann sprechen.«
    »Er schläft. Ohne sein Hörgerät hört er
die Klingel nicht. Nachts nimmt er es ab…«
    »Ich fürchte, da müssen Sie ihn wecken, Mrs.
Stallman.«
    »Ja. Ja, natürlich. Möchten Sie nicht
eintreten?«
    Sie führte ihn in ein vollgestopftes Wohnzimmer. Nein, das
richtige Wort war hier ›Salon‹. Dies war ein Salon:
dickgepolsterte Plüschfauteuils, verblaßter Teppich mit
rosa Rosen, tausend kleine Tischchen mit gerahmten Bildern,
Holzkästchen, Muscheln, Kerzenhaltern und Trockenblumen in
kleinen Vasen – alles in den gedämpften Farben
viktorianischen Adels gehalten. Wie alt waren diese Leutchen
eigentlich?
    Stallman jedenfalls, wie er so in seinem karierten Hausmantel und
den Lederpantoffeln auf der Türschwelle erschien, sah älter
aus als Abraham – und ebenso rechtschaffen. Im selben Moment,
als Cavanaugh ihn erblickte, wußte er, daß die Sippschaft
an Stallman nicht herangekommen war. Seine faltigen,
feingemeißelten Gesichtszüge mit dem kantigen Kinn zeugten
von lebenslanger absoluter Redlichkeit.
    »Bitte nehmen Sie Platz, Mister Cavanaugh. Was kann ich
für Sie tun?«
    Cavanaugh setzte sich. »Sie können mir sagen, Herr
Doktor Stallman, warum Sie die Exhumierung von Anna Borlan und Ramon
Morreale angeordnet haben, um eine weitere Autopsie
vorzunehmen.«
    Der alte Mann schien nicht überrascht. »Wenn Sie davon
wissen, Mister Cavanaugh, dann wissen Sie auch, daß es
Behauptungen gegeben hat, die ursprünglichen Autopsien
wären nicht gewissenhaft genug durchgeführt
worden.«
    »Ist es üblich, Leichen zu exhumieren, nur weil von
einer nicht besonders verläßlich wirkenden Person, die zu
keinem der Verstorbenen in verwandtschaftlicher Beziehung stand, in
den Medien Andeutungen gemacht werden?«
    »Sie wissen doch, daß das nicht üblich ist«,
sagte Doktor Stallman. Zum erstenmal fiel Cavanaugh auf, daß
seine linke Hand etwas zitterte. »Es war eine richterliche
Verfügung, die mich dazu zwang.«
    »Wer beantragte die richterliche Verfügung?«
    »Polizeichef Plovin.«
    Cavanaugh fing an zu verstehen. Im Unterschied zu Stallman empfand
Plovin es als Stachel in seinem Fleisch, daß die Zeitungs- und
Fernsehleute rumrannten – so würde es ein Mann wie Plovin
ausdrücken: ›rumrannten‹ – und behaupteten,
daß die Polizeiarbeit in seinem Distrikt mangelhaft war. Plovin
würde finden, er hätte sich an die Vorschriften gehalten,
verflucht noch mal, er hielt sich doch immer an die Vorschriften, was
für eine verdammte Verschwörung war das eigentlich, das war
’ne gottverdammte Verschwörung! Und wenn sie Autopsien
wollten, dann sollten sie ihre beschissenen Autopsien haben…
Wendell Botts’ verrückter Kreuzzug hatte sich zu einem
persönlichen Schicksalsschlag für Polizeichef Plovin
ausgewachsen.
    »Ich nehme an, Sie und Polizeichef Plovin sind schon
früher mal gelegentlich aneinandergeraten?« fragte
Cavanaugh.
    Stallman lächelte fein und antwortete nicht.
    »Was haben die Autopsien ergeben, Herr Doktor?«
    »Nichts Besonderes.«
    »Gar nichts?«
    »Ich bin überzeugt, Sie werden Kopien der Befunde
anfordern«, sagte Stallman ruhig.
    Klarerweise würde er das tun. Aber Cavanaugh beobachtete
Stallman dennoch genau, als er fragte: »Doktor Stallman, haben
die Autopsien einen ungewöhnlich hohen Bradykininspiegel im Blut
ergeben?«
    Stallmans Augen weiteten sich. Völlig reglos sagte er:
»Ich habe keine… Bei Autopsien ist es nicht üblich,
den Bradykininspiegel zu messen. Es handelt sich hierbei um ein
natürliches Molekül, das als Toxin nicht auf dem

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