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Verico Target

Verico Target

Titel: Verico Target Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Lenkrad des Pick-ups, bevor er wegfahren
konnte von dem Drahtzaun, dem Gelände und von seinen Kindern,
die er nun doch nicht gesehen hatte, und er konnte an nichts anderes
denken als daran, daß er in seinem ganzen beschissenen Leben
nichts so dringend nötig gehabt hatte wie einen Drink in diesem
Moment.
    Er war bereits sieben oder acht Kilometer auf der Landstraße
unterwegs, als ihm etwas Verwunderliches in den Sinn kam. Die
Streiter des göttlichen Bundes waren ein friedliches,
weltfremdes Volk, weil sich vor dreihundert Jahren Pere Cadaud, ein
friedlicher, weltfremder Blindgänger an genau dieser Stelle von
einem Haufen Indianer, die er eigentlich bekehren wollte, zu Tode
martern ließ. Von den Streitern wurde erwartet, daß sie
lebten wie Pere Cadaud. Sie glaubten nicht an den Krieg oder an den
Besitz von Waffen oder an das Töten von Lebewesen, wenn es nicht
als heiliges Sühneopfer geschah.
    Wie kam es also, daß die Siedlung über Wachen
verfügte, die so gut waren, daß einer von ihnen einen
sechsundzwanzigjährigen Ex-Marine in absoluter Topform
flachlegen konnte, ohne daß sein Kumpel auch nur den kleinen
Finger zu rühren brauchte, um ihm zu helfen?
     
    Er hatte keinen Drink.
    Es war ein Triumph, ein verdammter Triumph, jedesmal, wenn er kein Bier hatte. Das sagten sie zumindest bei den A.A.
Vielleicht hatten sie sogar recht. Aber heute abend fühlte es
sich ganz und gar nicht wie ein Triumph an.
    Wendell saß vor dem Fernsehapparat in seinem Motelzimmer in
Gloversville, fünfzehn Kilometer von Cadillac entfernt.
Draußen vor dem Fenster zog der Verkehr auf der
Landesstraße 29A hupend und donnernd vorbei. Im Zimmer gab es
ein durchgelegenes Bett, ein Sofa mit ausgeleierten Federn, einen
Fernsehapparat auf einem Metalltischchen, einen Couchtisch mit tiefen
Messerspuren in der Platte, eine Kommode und eine Kombination von
Herd, Spüle und Kühlschrank ohne Ablage- oder
Arbeitsfläche. Die Toilette und die stockfleckige Dusche hatten
einen eigenen Raum. Einhundertzwölf Dollar die Woche, denn er
sparte seinen Lohn für eine hübsche Dreizimmerwohnung,
falls Saralinda und die Kinder nach Hause kamen.
    Sobald Saralinda und die Kinder nach Hause kamen. Er gab
sich noch nicht geschlagen.
    Er saß auf dem Bett und hielt sich Eiswürfel an die
Rippen, wo der Hundesohn ihn getreten hatte. In zwanzig Minuten
mußte er sich zusammenreißen und zu den Anonymen
Alkoholikern schleppen.
    Dort hatten sie ein Sprüchlein für alles und jedes.
»Wer will, der kann.«
    »Ein Schritt nach dem anderen.«
    »Mir geht’s nicht gut, und dir geht’s nicht gut,
aber das ist schon gut so.«
    »Von allein geht gar nichts.« Was für ein
gottverdammtes Sprüchlein hatten sie wohl für einen Kerl,
der mit einer gebrochenen Rippe zur Zusammenkunft kam?
    Denn gebrochen oder nicht gebrochen, er würde hingehen. Heute
abend wie jeden Abend. Er hatte sich bei der Rechtshilfe in Albany
beraten lassen, einer von jenen Stellen, wo man die Möglichkeit
hatte, einfach reinzugehen und in einem ersten Gespräch ohne
Bezahlung zu erfahren, welche Rechte man hatte. Die Anwältin,
eine gerissene kleine Jüdin, hatte ihm erklärt, daß
die beste Chance, das Besuchsrecht bei seinen Kindern
wiederzuerlangen, darin lag, zu ›belegen‹. Das hieß,
er mußte einem Richter schriftliche Belege dafür vorlegen,
daß er seit mindestens sechs Monaten ohne Unterbrechung
arbeitete, nüchtern blieb und sein Geld auf die hohe Kante
legte. Also ging er zu den A.A. – heute abend und an jedem
anderen verdammten Abend. Sie wollten Belege, also würden sie
Belege kriegen. Er hatte eine Schublade voll Lohnzettel und ein
Sparbuch, das mit jeder Woche wuchs, und einen lückenlosen
Anwesenheitsnachweis bei den A.A., was aus einem kleinen
Büchlein ersichtlich war, das sein Bürge, Lewis R,
führte – und der war Ordnungsbeamter am Gericht! An dem konnten Saralinda und ihre Streiter sich die Zähne
ausbeißen!
    Er schob den Eisbeutel ein Stück weiter und japste.
Vielleicht sollte er zu einem Arzt gehen? Nein, er hatte keine
entsprechende Krankenversicherung, und aus der eigenen Tasche bezahlt
würde der Besuch locker fünfzig Mäuse kosten. Das
wären dann fünfzig Mäuse weniger auf dem Sparbuch, das
er dem Richter zeigen würde.
    Er mußte Saralinda und die Kinder zurückkriegen. Er mußte einfach. Und nicht einmal nur deshalb, weil sein
ganzes Leben ohne sie alle eben bloß ein Scheißleben war,
sondern um sie in Sicherheit zu wissen. Den ganzen

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