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Verico Target

Verico Target

Titel: Verico Target Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Warum?«
    »Ich glaube, sie kannte Ben besser, als sie zugeben
will.«
    Mark gab einen leisen, warnenden Ton von sich und sah an ihr
vorbei. Judy drehte sich um. Caroline Lampert stand in der
Tür.
    Die beiden Frauen starrten einander schweigend an, und dann ging
Caroline eilig davon.
    »Kann ich Ihnen… ein paar Erdnüsse holen?
Judy?«
    »Alle wissen es, nicht wahr, Mark? Von Ben und
Caroline.« Ihre Stimme klang fest, so fest, daß sie selbst
darüber erstaunt war.
    »Judy, meine Liebe… Sie haben eine so böse Zeit
hinter sich…« Unbeholfen legte Mark ihr den Arm um die
Schultern. Nüchtern vermerkte ein unbeteiligter Winkel ihres
Gehirns, daß Mark einer solchen Situation ebenso hilflos und
peinlich berührt gegenüberstand wie alle anderen
Männer, die sie kannte. Mit Ausnahme ihres Vaters.
    »Mein Gott, Judy, es ist so schwierig, bei solchen Dingen das
Richtige zu tun…«
    »Ist schon gut, Mark«, sagte sie. »Es lag nicht an
Ihnen noch an irgend jemand anders, mich über Bens Treiben zu
informieren.«
    »Mein Gott«, sagte er noch mal, und auf diese sonderbar
unbeteiligte Weise war sie jetzt überrascht von dem
gequälten Klang seiner Stimme, der vorhin zu dem Ausdruck auf
seinem Gesicht gepaßt hätte, als er das Foto seiner
Töchter betrachtete. Also galt dieser Schmerz gar nicht ihr,
sondern dem geheimnisvollen Problem mit Molly, Ruth oder Rosie. Sie
lächelte. Soviel zu ihrer Annahme, aller Menschen Gedanken
würden sich um sie drehen.
    »Ich mische mich ein wenig unters Volk«, sagte sie.
»Kommen Sie auch mit?«
    »In einer Minute.«
    »Mark, haben Sie noch vor Ben ein Einstellungsgespräch
bei Verico geführt?«
    Sie hatte ihn wieder zu überraschtem Stillschweigen gebracht.
Er nahm den Arm von ihren Schultern. Als er sprach, klang seine
Stimme verändert – so klar und kontrolliert wie die ihre.
»Nein.«
    »Ich glaube, Julia Garvey hat es getan.«
    Ohne zu zögern sagte er: »Nein, hat sie nicht.«
    »Wie wollen Sie das wissen?«
    Mark sah sie an; sein Gesicht war so glatt und ausdruckslos wie
ein geschältes Ei. »Weil sie mir im Juni erzählte,
daß sie ein Angebot von Genentech erhalten hätte, ein
gutes Angebot, daß aber nichts auf der Welt sie dazu bringen
könnte, vom Institut für Gesundheitswesen wegzugehen. Sie
ist dort so fest verwurzelt wie ich am Biomedizinischen in Boston. An
diesem Punkt unserer Laufbahn würde keiner von uns beiden ein
anderweitiges Angebot auch nur in Betracht ziehen. Und Julia hat noch
dazu Aussicht auf die Direktorenstelle beim Bundeszentrum für
humangenetische Forschungen.«
    »Seit Juni könnte sie in ihrem Entschluß doch
schwankend geworden sein.«
    »Julia schwankt nicht. Sie hängt nichts an die
große Glocke, aber sie schwankt nicht.«
    Ja, das sah Judy auch so. Das hatte sie gesehen.
Kompromißlose Rechtschaffenheit. Also war Doktor Garvey keine
ernsthafte Kandidatin für Verico gewesen, und Verico hätte
nur einem ernsthaften Kandidaten heikle Dinge geoffenbart. Julias
leichte Nervosität rührte ausschließlich von Judys
plumpem Eindringen in ihre Privatsphäre her.
    »Sollten wir nicht zum Büffet gehen?« fragte Mark,
das Gesicht immer noch ausdruckslos. »Es soll eine
großartige Caponata geben.«
    »Gute Idee.«
    Im Eßzimmer angekommen, wußte sie jedoch, sie
würde nichts hinunterbringen. Aus dem Augenwinkel sah sie
Caroline Lampert ihren Mantel aus der Garderobe holen und ungesehen
zur Tür hinausschlüpfen. Gut. Sollte sich die Schlampe nur
aus dem Staub machen.
    »Und übt Barmherzigkeit mit manchen, denn nicht alle
sind gleich…«
    Raus aus meinem Kopf, Daddy!
    Aus dem Salon kamen ausgelassene Töne. Judy holte tief Atem
und hielt sich an ihrem Glas fest. Auf der Party war sonst niemand
anwesend, den Verico zu einem Gespräch eingeladen haben mochte,
aber sie fühlte sich dennoch verpflichtet, zu plaudern und zu
lächeln. Zumindest noch ein Stündchen. Und auch wenn Julia
Garvey und Mark Lederer so ›fest verwurzeln in ihren Jobs‹
waren, daß sie beide das Angebot einer Biotechfirma nicht
einmal in Betracht zogen, standen noch eine Reihe von Namen auf Judys
Liste. Die Welt der Genforscher war klein. Etliche dieser
Wissenschaftler würden Weihnachtsparties in Boston oder New York
oder Philadelphia besuchen, und das waren Parties, für die Judy
ganz leicht Einladungen bekommen konnte. Jedermann wollte etwas
für die arme Witwe tun, selbst für eine Witwe, deren
Ehemann ihr zu Lebzeiten nur selten Einblick in seine Berufswelt
gewährt

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