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Verico Target

Verico Target

Titel: Verico Target Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Wieviel hast du eigentlich abgenommen?«
    »Keine Ahnung.« Sie hatte sich doch nicht zum Kauf eines
neuen Kleides für die Party durchringen können, aber im
hintersten Winkel des Reserveschrankes im Gästezimmer hatte ein
schwarzer Samtrock gesteckt, in den sie sich seit drei Jahren nicht
hatte hineinzwängen können; er schlotterte ebenso um ihre
Figur wie die schwarze Seidenbluse, und Judy wußte, sie sah
keineswegs wunderbar aus – aber zumindest herzeigbar.
    »Komm hier herüber, Liebes«, sagte Barbara,
»ich möchte dir jemand vorstellen.«
    Irgend jemanden, dachte Judy, egal wen.
    »Das ist Julia Garvey, Judy. Julia, Judy Kozinski. Julia kam
extra wegen der Party angereist, sie arbeitet am Staatlichen Institut
für Gesundheitswesen.«
    »Ich weiß«, sagte Judy lächelnd. Sie ergriff
die Hand der älteren Frau. Julia Garveys Name stand wie der von
Mark Lederer auf der kurzen Liste von Wissenschaftlern, die sie im
Taxi auf der Fahrt von Verico nach New York zusammengestellt hatte.
Es war ein unerwarteter Glücksfall, sie hier zu treffen. Zwei
Fliegen mit einem Schlag.
    »Oh, da kommen die Fieldings«, sagte Barbara.
»Entschuldigt mich, ihr beiden… bin gleich wieder
da.«
    »Mein Mann war ein großer Bewunderer Ihrer Arbeit, Frau
Doktor Garvey«, sagte Judy.
    »Nennen Sie mich ruhig Julia. Und umgekehrt verhielt es sich
natürlich genauso. Sein Tod war ein großer Verlust
für uns alle.«
    »Danke«, sagte Judy. Sie betrachtete Julia Garvey
unauffällig. Sechzig etwa, glatter grauer Haarknoten, wenig
Make-up, aber sehr gepflegt. Ihr Kleid sah schick und teuer aus, und
es betonte ihre hellblauen Augen. Diese Frau hatte eine
persönliche Ausstrahlung. Doch die blauen Augen sahen Judy nicht
direkt an. Doktor Garveys Blick wich dem von Judy aus – oder
bildete sie sich das nur ein? Sie machte die Probe aufs Exempel.
    »Kannten Sie Ben gut, Julia? Ich frage nur, weil er so viel
herumreiste, genau wie ich in meinem Job – ich bin Journalistin
–, und so habe ich seine Kollegen nicht so häufig
kennengelernt, wie ich es mir gewünscht hätte.«
    »Nicht gut, nein«, antwortete Doktor Garvey, und diesmal
war Judy sicher: Der Blick dieser Frau wich dem ihren aus; Julia
Garvey verbarg etwas.
    Einen langen, qualvollen Moment lang fragte sich Judy… nein.
Nein, Doktor Garvey war zumindest sechzig. Doch auch Caroline Lampert
war weder jung noch hübsch… aber sie war auch nicht
sechzig. Judy warf einen kurzen Blick auf Julia Garveys linke Hand.
Ehering und schwerer, altmodischer Verlobungsring, ein Diamant in
einem Kreis von Rubinen. Und sie hatte etwas zutiefst Aufrichtiges an
sich, eine fast spröde Rechtschaffenheit, die so altmodisch war
wie ihr Ring. Nein. Nicht sie und Ben.
    Was bedeutete, daß es eine andere Ursache haben mußte,
wenn Julia Garvey sich in ihrer, Judys Gegenwart nicht recht wohl zu
fühlen schien.
    »Mein Forschungsgebiet ist nicht dasselbe wie das von
Ben«, sagte Doktor Garvey, »aber ich gehörte dem
Wissenschaftlerteam an, das die Kontrollversuche für zwei von
Bens Veröffentlichungen ausführte. Brillante
Arbeit.«
    »Ja. Er war sehr glücklich am Whitehead. Obwohl er kurz
vor seinem Tod eine Position bei einer Biotechfirma in Betracht
zog.«
    »Tatsächlich«, sagte Julia Garvey und nahm ein
Schlückchen von ihrem Drink, etwas Braunem auf Eis.
    »So viele Mikrobiologen tun das heute, nicht wahr? Hat man
auch am Staatlichen Institut für Gesundheitswesen das
Gefühl, daß die Gehälter dort nicht mit denen
privater Firmen mithalten können?«
    »O ja, manchmal schon. Obwohl es glücklicherweise immer
gute Leute gibt, für die das Finanzielle nebensächlich ist.
Zum Ausgleich dafür bietet das Staatliche Institut wiederum die
Möglichkeit einer breitgefächerten Einflußnahme,
gelegentlich sogar – indirekt – auf den
Kongreß.«
    Doktor Garvey hatte ihre Gelassenheit zurückgewonnen, das
konnte Judy deutlich sehen. Wodurch diese leichte Nervosität
auch immer hervorgerufen worden war, jetzt war sie wieder unter die
Oberfläche ihrer Professionalität geschlüpft. Was
hieß, daß Judy gleich zuschlagen mußte, bevor Julia
Garvey ihre Unruhe vollends überwunden hatte.
    »Mein Mann verhandelte zuletzt mit einer Firma namens Verico
in Elizabeth, New Jersey. Sagen Sie, Julia, hat man dort auch mit
Ihnen Kontakt aufgenommen, vielleicht sogar noch vor Ben?«
    Julia Garvey hob die blauen Augen vom Anblick ihres Glases, um
Judy unverwandt ins Gesicht zu sehen. Zu unverwandt.

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