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Verico Target

Verico Target

Titel: Verico Target Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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So sahen einen
die Menschen nur an, wenn sie etwas zu sagen hatten, was in
irgendeiner Weise signifikant war. Eine Enthüllung. Eine
Warnung. Oder eine Lüge.
    »Nein, Judy. Ich habe keine Verhandlungen mit Verico
geführt. Und Sie wissen, wie diese Meute von Wissenschaftlern
dem Tratsch verfallen ist – es wäre mir zu Ohren gekommen,
wenn jemand anders sich für eine Stellung dort interessiert
hätte. Ich glaube, Ben war der einzige, der für diese Firma
zur Wahl stand.«
    Stell keine Fragen, hörte Judy. Von mir bekommst du
nichts zu hören. Laut und deutlich.
    Botschaft verstanden.
    Doktor Julia Garvey wußte etwas, das sie nicht sagte.
    »Es hat mich nur beschäftigt«, erwiderte Judy
lächelnd.
    »Verständlich.«
    »Ich sollte mir vielleicht einen Drink holen – ich bin
die einzige hier ohne Glas in der Hand. Soll ich Ihren auffüllen
lassen?«
    »Nein, danke. Ich bin vorderhand versorgt.«
    Judy lächelte wieder und schlug den Weg zur Küche ein.
Sie spürte Julia Garveys Augen in ihrem Rücken.
    Dann war es also Frau Doktor Garvey. Sie hatte bei Verico
vorgesprochen, sie hatten ihr das gesagt, was sie später auch
Ben sagten, und sie war zu verängstigt, um den Mund aufzumachen.
Wirklich zu schade. Judy war noch nicht mit ihr fertig. Doktor Julia
Garvey hatte kein Monopol auf das, was sie wußte. Die Wahrheit
um Bens Tod gehörte von Rechts wegen Judy, und Doktor Garvey
würde Judy schon ihren kleinen Teil davon aushändigen
müssen. Nicht hier auf der Party, aber irgendwo anders, und bald
würde sie Judy verraten, was sie wußte. Judy würde
sich an sie heranpirschen, sie zur Rede stellen und so lange
löchern, bis das geschah. Genau das war doch Judy Kozinskis
Spezialität, nicht wahr? Hartnäckigkeit bei der Jagd auf
Fakten.
    In der Küche bediente sich Mark Lederer – ohne Caroline
– beim Scotch. Judy sagte: »Hallo, Mark.«
    »Hallo, Judy. Möchten Sie auch einen Drink?«
    Kein Wie geht’s Ihnen? Judy war so dankbar dafür,
daß sie ihn anstrahlte. »Bitte. Wodka und Tonic. Woher
kommt dieser flaue Geschäftsgang hier bei den
Alkoholika?«
    »Alle, einschließlich meiner Frau, sind im Salon und
bewundern den Weihnachtsbaum.«
    »Was, sie haben ihn jetzt schon aufgestellt?«
    »Niemand feiert Weihnachten so begeistert wie Atheisten. Die
Kinder wollen unseren kommende Woche aufstellen.«
    Judy lachte. »Wie geht’s denn Ihren Kindern?«
    »Immer noch dieselben herrlich schrillen Weibsbilder.«
Marks Augen leuchteten; er liebte seine Töchter über alles.
Das war einer der liebenswürdigsten Züge an ihm, einem
ansonsten reizlosen, schmächtigen Mann mit langem Gesicht und
schlaff aussehendem Bauch. »Soll ich es wagen, Sie mit dem
obligaten Foto zu langweilen?«
    »Langweilen Sie mich.«
    Mark zog seine Brieftasche hervor. Die drei Mädchen machten
den Clown für die Kamera – die Älteste im
Festtagskostüm ihrer Schule, die Zehnjährige streckte die
Zunge heraus und die Kleinste stand stolz auf dem Kopf und reckte
ihre unglaublich kleinen Sportschühchen in die Luft. »Sie
sehen so lebendig aus«, sagte Judy. »Ein Wunder, daß
sie nicht aus dem Foto purzeln!«
    Mit einemmal wurde sie sich Marks plötzlichen Schweigens
neben sich bewußt. Er starrte hinab auf seine Töchter,
jeden Muskel im Körper angespannt und reglos. Der Kummer in
seinem Gesicht schnitt so tief in seine Züge, daß
er fast aussah wie ein Fremder. Doch nur einen Moment lang, dann war
der Kummer wieder verschwunden, und nur etwas von der Anspannung in
seiner Körperhaltung blieb zurück wie
überschüssige Elektrizität.
    »Mark?«
    »Kommt sofort. Wodka und Tonic.« Er steckte das Bild
zurück in die Brieftasche und drehte sich so endgültig zur
Anrichte, daß Judy verstand, was ihr soeben gesagt wurde; was
auch immer mit seinen Mädchen los war, er wollte nicht
darüber reden. Leukämie? Knochenkrebs? Herrgott, es war
immer so besonders schlimm, wenn es ein Kind betraf.
    Judy fragte – nur teilweise, um das Thema zu wechseln:
»Mark, wie gut kennen Sie Julia Garvey?«
    »Julia? Ungefähr so gut, wie wir alle einander kennen.
Was heißen soll, daß wir leidenschaftlich und ausgiebig
über alles streiten, was unsere Fachgebiete betrifft, und
Mühe haben, miteinander ein Zehnminutengespräch über
irgend etwas anderes zu führen.«
    »Fühlt sie sich wohl am Institut für
Gesundheitswesen?«
    »Das nehme ich doch an. Sie beschäftigt sich dort zwar
nicht mit spektakulären Dingen, aber sie leistet gute, solide
Arbeit.

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