Verico Target
schleuderte schmutzigen Matsch in schweren Wogen hoch. Er
fuhr vorsichtig, froh, daß er nicht hier wohnte und doch
beeindruckt, wie zügig und wirksam die Stadt dem schlechten
Wetter begegnete. In Washington reichten fünf Zentimeter Schnee,
um alles stillzulegen – ausgenommen Ratten und
Drogenhändler.
Leutnant Piperston, der litauische Katholik, der ihn über die
Unberechenbarkeit liebevoll erzogener irisch-katholischer
Mädchen aufgeklärt hatte, erwartete Cavanaugh an der
Tür von Judy Kozinskis Haus in Natick. Im August hatten
leuchtend orangefarbene und gelbe Blumen den Gartenweg gesäumt,
und jetzt konnte Cavanaugh den Weg nicht einmal mehr erkennen unter
der Schneedecke, die höher aussah, als das, was Washington im
ganzen Winter abkriegen würde. Hoffentlich.
»Agent Cavanaugh«, begrüßte Piperston ihn
leise und höflich. Er hatte sich nicht verändert: klein,
kahl, klug aussehend. Ebensowenig wie das Kozinski-Wohnzimmer mit all
seinen Büchern, Skulpturen und Grünpflanzen. Am Fuß
der Treppe stand ein Uniformierter Wache. Draußen hatte
Cavanaugh bereits drei weitere gesehen.
»Hallo“, Leutnant. Anscheinend sind wir immer noch nicht
fertig mit den Kozinskis.«
»Anscheinend nicht«, sagte Piperston. »Die
Spurensicherung wird oben gleich fertig sein. Ihr Mann ist im
Arbeitszimmer mit Mrs. Kozinski.«
Das Arbeitszimmer war jener Raum, in dem Cavanaugh sie letztes Mal
gesprochen hatte, ›Ökonomische Handhabung der
Reisetätigkeit‹, hatte Felders gesagt.
Cavanaugh ging zuerst nach oben ins Bad. Das Opfer –
beziehungsweise der verhinderte Täter – lag
blutüberströmt auf dem Rücken; das Blut war bereits zu
einem stumpfen Braunrot getrocknet. Er hatte schwarzes, lockiges
Haar, regelmäßige Gesichtszüge und eine hübsche
Bräune – vermutlich von seinem Urlaub in Vegas oder Mexico
oder in der Karibik. Eine Art Sozialleistung für Mörder.
Wäre der Kerl vor Gericht gestellt worden, hätte er besser
ausgesehen als seine Anwälte, dachte Cavanaugh.
Die Leute vom Leichentransport kamen, um den Toten abzuholen, und
Cavanaugh ging hinunter ins Arbeitszimmer der Kozinskis.
Dollings saß auf dem kleinen Sofa neben einer fremden Frau.
Unwillkürlich starrte Cavanaugh ihn finster an, obwohl er
keineswegs vorgehabt hatte, den jüngeren Agenten, dessen Kiefer
ohnedies hart zusammengepreßt waren, auf diese Weise zu
begrüßen; aber Dollings mußte doch wissen, welches
Gewicht den Sicherheitsmaßnahmen in diesem Fall zukamen!
»Wo ist Mrs. Kozinski?« fragte Cavanaugh.
Dollings sah ihn überrascht an. »Na hier.« Er ging
hinaus.
Cavanaugh hatte sie nicht wiedererkannt und fühlte sich
augenblicklich wie ein Idiot. Vor seinem inneren Auge hatte er stets
eine kleine, dickliche Brünette gesehen, die sich hart am Rand
eines hysterischen Anfalls befand. Und hier saß eine schlanke
Rothaarige in eng anliegenden Hosen und einer blauen Bluse. Sie war
blaß, und ihre nußbraunen Augen wirkten riesig, aber da
lag auch nicht ein Hauch von Hysterie um sie, vielmehr ein
undefinierbarer stiller Kummer, so als hätte sie ihre starken
Gefühle unter eiserner Kontrolle.
Wie Marcy.
»Mrs. Kozinski, wir kennen uns bereits. Ich bin Robert
Cavanaugh vom FBI.«
»Oh. FBI.«
»Wie bitte?«
»Ich hatte das falsch verstanden. Ich dachte, Sie kämen
vom Justizministerium.«
Also erinnerte sie sich an ihn – und er spürte, wie ihm
eine lächerliche kleine Röte ins Gesicht stieg. »Mrs.
Kozinski, ich weiß, daß Sie Agent Dollings und der
hiesigen Polizei bereits berichtet haben, was hier vorgefallen ist,
aber ich möchte Ihnen ein paar zusätzliche Fragen stellen.
Mit wem haben Sie gestern oder heute früh gesprochen –
persönlich oder am Telefon? Wen haben Sie besucht?«
Sie sammelte ihre Gedanken, um ihre Antwort so komplett wie
möglich zu geben. »Gestern habe ich niemanden besucht, wenn
man von der Kassiererin im Supermarkt absieht. Gestern nachmittag
rief ich den Zahnarzt an, um einen Termin auszumachen, das Postamt,
um die Zustellung für die nächsten vier Tage, wenn ich
nicht hier sein werde, auszusetzen, und meine Mutter in Troy, New
York.«
»Sie wollten für vier Tage verreisen? Wohin?«
»Nach New York.«
»Geschäftlich oder zum Vergnügen?«
Sie zögerte einen Moment lang. »Geschäftlich. Ich
wollte eine wissenschaftliche Tagung besuchen, an der mein Mann
teilgenommen hätte.«
Volltreffer. Er ärgerte sich, daß er von der Tagung
nichts wußte. Was machte Tamara Lang, die ja angeblich
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